Die Albertis: Roman (German Edition)
und Briefen und den Besprechungen im Jugendamt Ulm und den Telefonaten? Na?«
»Du meinst deinen Antrag auf Pflegschaft?« Huberts Stimme rastete ein wie das kleine quietschende Gartentor vor Judiths Häuschen.
»Ja, meinen Antrag auf Pflegschaft. Er ist angenommen. Hubert, stell’ dir vor, er ist angenommen, angenommen, angenommen. Und ich sitze hier, habe deinen besonderen Gelegenheitssekt geköpft und kriege schon ganz glasige Augen. Du musst unbedingt im Amt Schluss machen und zu mir kommen. Wir wollen feiern. Bitte, Hubert!«
»Ob es für mich ein Grund zu feiern ist, wenn du plötzlich drei Kinder am Hals …«
»Hubert!«
»… wenn du plötzlich die Sorge für drei Kinder zu tragen hast; bleibt dahingestellt. Du weißt ja. Unsere Ansichten liegen in diesem Falle weit auseinander. Doch auf mich hast du leider, leider keine Rücksicht genommen bei deinem einsamen Entschluss.«
Die Gartentorstimme schnappte noch ein wenig fester ein. »Mein lieber Hubert. Wenn deine Schwester und ihr Mann bei einem Badeunfall ums Leben gekommen wären, und drei Kinder gehabt hätten, dann hättest du das Gleiche getan, da bin ich ganz sicher. Ich weiß, es wäre Margareths Wunsch gewesen, dass die Kinder zu mir und Lilli kommen. Schließlich sind wir die nächsten Verwandten. Und wir haben Platz. Ich wohne hier mietfrei, arbeite nur halbtags, wir haben einen Garten, ein Gymnasium ist in der Nähe … was will man mehr?«
»Ja, was will man mehr?«, wiederholte Hubert spöttisch.
»Außerdem war es von vornherein klar, dass die Drei nicht bei Onkel Konrad und Tante Anna in Ulm bleiben können. Die beiden haben bis zum Ende des Schuljahres ihre Gastfreundschaft angeboten, mehr nicht. Und sie sind zu alt. Ich bitte dich. Konrad ist sechzig und Anna fünfundfünfzig.«
»Und ich werde im Herbst achtundvierzig«, antwortete Hubert pikiert. »Ich hoffe, ich bin dir nicht auch zu alt.«
»Aber Hubert … du weißt doch, wie ich’s meine. Und … na ja. Anna und Konrad waren bestimmt schon als Säuglinge betagt, musst du doch zugeben. Die sind einfach kein Umgang für quicklebendige Kinder wie Steffi und Oliver. Von Claudia ganz zu schweigen. Eine Siebzehnjährige! Da werde ich sogar Schwierigkeiten haben, zurechtzukommen.«
»Du wirst in der Tat eine Menge Schwierigkeiten haben. Du vergisst, dass du genauso wenig Erfahrung hast wie Anna und Konrad. Ich weiß überhaupt nicht, woher du deine Selbstsicherheit nimmst.«
Judith schwieg verärgert. Es war immer das Gleiche! Nichts als grauer Pessimismus. Wieder starrte sie in den Spiegel. Ihr Haar sah verheerend aus, mittelbraun, langweilig, ohne jeden Schnitt. Schon möglich, dass ihr nie mehr ein anderer Mann Avancen machen würde. Aber egal. Sie war jetzt dreifache Mutter, und wenn diese Tatsache auch ihren Heiratschancen gewiss mehr als abträglich war – wer sagte eigentlich, dass sie unbedingt heiraten musste? Und dass es unbedingt ein absolut berauschendes Ereignis war, Hubert zu heiraten? Einen Mann, der in sakraler Feierlichkeit eine Flasche Sekt in ihrem Kühlschrank deponierte und sich dann beharrlich ausschwieg. Und dessen Antrag bestimmt schriftlich kam, mit fünffachem Durchschlag und der dringenden Bitte, ein Exemplar umgehend und gegengezeichnet an den Antragsteller zurückzusenden.
»Judith? Was ist los? Bist du noch dran oder schwebst du schon im siebten Mutterhimmel?«
»Kommst du jetzt feiern oder nicht?«
»Nein, ich komme nicht feiern. Aber ich lade dich zum Abendessen ein. Um sieben Uhr beim ›Alten Wirt‹.«
»Na gut«, meinte sie seufzend. »Um sieben Uhr beim ›Alten Wirt‹. Obwohl … ich meine, angesichts der Besonderheit des Tages, lieber Hubert, wäre es vielleicht ausnahmsweise angebracht, den Tagungsort in ein schickes italienisches Restaurant … nein? Okay. Nein.« Sie schnitt abermals eine Grimasse und legte auf.
Als Konrad und Anna Dehler die Kopie des Bescheides vom Jugendamt Ulm erhielten, atmeten sie erleichtert auf. Sie hatten damals, vor einem halben Jahr, getragen von dem edlen Gefühl, drei über Nacht zu Waisen gewordenen Kindern vorübergehend Heim und Schutz zu gewähren, geradezu kategorisch darauf bestanden, ihre Gastfreundschaft anzubieten, bis eine geeignete Lösung gefunden sei.
Doch bald schon und ohne es sich jemals einzugestehen, hatten sie es bitter bereut. Anna, die Schwester Lilli Uhlands, ein mütterlicher, molliger Typ mit roten Backen und flinken Augen, merkte sehr schnell, dass sie, die bis dahin kinderlos
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