Die Albertis: Roman (German Edition)
war, überhaupt nicht wusste, wie sie mit Claudia, Steffi und Oliver umgehen sollte.
Und auch Konrad benahm sich so hilflos wie ein Fisch auf dem Trockenen. Obwohl es ihn natürlich weniger betraf. Er stand den ganzen Tag im Laden, bediente die Kunden und sah diese Rasselbande nur abends. Und selbst da hatte er schon nach kürzester Zeit die Nase voll. Aber sie?
Sie hatte sich weder an den schnoddrigen Ton noch an die unmögliche Kleidung und die schlechten Manieren der drei gewöhnen können. Margareth hatte die Kinder einfach zu sehr verwöhnt … Immer öfter schüttelte Anna den Kopf, räumte Claudias nachlässig über einen Stuhl geworfene Kleider in den Schrank, ertrug Steffis freche Antworten und sah nach Oliver, der vorwiegend in düsteren Ecken hockte, in seinen Büchern schmökerte und so zugänglich war wie die Festung von Alcázar.
Doch nun war es vorbei. Es war August, und Ende des Monats würden Claudia, Steffi und Oliver nach München reisen. Koffer und Kisten standen zum Teil bereits gepackt, eingelagerte Möbelstücke würden noch diese Woche auf den Weg gebracht werden, und sie und Konrad konnten schon sehr bald wieder zu ihrem ruhigen, beschaulichen Leben früherer Tage zurückkehren. Obwohl … um den kleinen Oliver tat es Anna ein wenig leid. Denn abgesehen von seiner beständigen, traumverlorenen Schmökerei in Büchern war er ein lieber Junge, ernst, ordentlich, nie laut und wenn auch schwer zugänglich, so doch der höflichste. Er hatte bei Anna großmütterliche Gefühle geweckt, ihr kleine Botengänge abgenommen, den Abfall zur Tonne getragen und sogar die Nachbarn gegrüßt. Wenn er bei ihr bliebe … Doch auch darüber sprach sie nicht mit Konrad. Ein Esser mehr … Konrad war geizig, so geizig, dass er Anna sogar nötigte, mit bröseligen Fertigsuppen, Konserven und allerlei unverkäuflichen verstaubten Ladenhütern den Küchenzettel höchst fragwürdig zu bereichern.
»Drei Wochen Buchstabensuppe«, hatte Steffi erst gestern bemerkt. »Das macht aus jedem Analphabeten ein Genie.«
»Woanders hungern die Menschen.«
»Dann schick denen eine Ladung deiner Nudeln. Und wir machen uns an den frischen Schinken.«
Anna nahm den Brief des Jugendamtes, ging ins Wohnzimmer und sah, wie Claudia und Steffi am Boden vor dem Fernsehapparat saßen und kichernd einen Liebesfilm anschauten. Auf dem Bildschirm näherte sich der Held gerade männlich-charmant auf der Couch der Heldin und beabsichtigte ganz offensichtlich, weitere Maßnahmen zu ergreifen.
»Kinder. Das ist doch kein Film für euch.«
Claudia lachte. »Aber Tantchen. Ist doch nichts passiert. Wird auch nichts passieren. Sieh mal. Zuerst wird er sie küssen …«
»Macht er schon«, feixte Steffi.
»Und dann wird er, wenn überhaupt, mit leicht feuchten Augen seine Krawatte ablegen und die Kamera wird, schwenk-schwenk, den Rosenstrauß ins Visier nehmen und langsam ausblenden.«
»Der Film ist nämlich von neunzehnhundertsechzig«, bemerkte Steffi.
»Na und?«
»Neunzehnhundertsechzig blendete man nach der Küsserei und dem Rosenstrauß aus.«
»Aha. Und heute?«
»Auch nach der Küsserei und beim Rosenstrauß.«
»Was ist dann der Unterschied?«
»Damals war’s der Rosenstrauß mit furchtbar viel Gefiedel und Klavier im Hintergrund. Heute steht der Rosenstrauß vor einem Spiegel, und im Spiegel sieht man …«
»Ich habe Nachricht vom Jugendamt«, sagte Anna hastig. Sie wusste schließlich, was man alles in einem Spiegel sah. »Eine gute Nachricht. Tante Judiths Antrag wurde genehmigt. Ihr könnt Ende des Monats abreisen.«
Claudia und Steffi schwiegen.
»Ihr werdet euch mit Judith gut verstehen. Und München ist wirklich eine schöne Stadt. Judiths Häuschen ist zwar etwas beengt, dafür sehr gemütlich. Na ja, ihr kennt es ja. Und einen Garten habt ihr auch.«
»Ich mache mir nichts aus Garten. Terrassenwohnungen sind nobler«, sagte Claudia und blickte aus dem Fenster.
Anna lächelte nachsichtig. Sie wusste, wie sehr Claudia ihr sorgloses Leben vermisste, die Reitstunden, die Tennisturniere, die herrlichen Urlaube, zusammen mit den Eltern. Philip und Margareth hatten die Kinder vergöttert, hatten das Geld mit vollen Händen ausgegeben und sich über die Zukunft keinerlei Gedanken gemacht.
Und dann diese Katastrophe! Dieses Unglück. Philip befand sich auf einer Geschäftsreise in Neuseeland. Und Margareth begleitete ihn. »Unsere zweiten Flitterwochen«, hatte sie lachend am Telefon berichtet. Karten trafen ein.
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