Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
dann werde ich dich verlassen!«
»Mich verlassen?« Vogt hielt überrascht inne. »Du willst, dass ich dir Erklärungen gebe, während sie mein Leben bedrohen? Nur zu!«
Eine beinahe unmerkliche Veränderung war in ihm vorgegangen, und Helene spürte, wie er kurz davor war, ihr seine Gefühle zu gestehen, sie jedoch sofort wieder zu verbergen suchte.
»Johann, warum verfolgen sie die Verbindung?«
»Weil sie im Geheimen arbeitet. Das macht ihnen Angst!«
»Ist etwas an den Vorwürfen dran, von denen Hufeland schreibt?«
»Hufeland? Himmel, diesen Name erwähnst du besser nie wieder! Hufeland ist nichts weiter als ein fürchterlicher Schisser, der sich erdreistet, die Verbindung öffentlich zu diffamieren. Noch vor wenigen Jahren war er nur ein ängstlicher Bursche, der nichts anderes im Kopf hatte als seine Studien. Nun spielt er sich wieder zum gottverdammten Moralisten auf, glaubt, uns mit seinem Geschwätz Konkurrenz machen zu können. Dabei ist er nichts weiter als ein Eidbrecher, ein lausiger Günstling des Weimarer Zirkels, der sich seiner schöngeistigen Bildung rühmt.«
»Aber was passiert mit den Patienten?«, beharrte Helene. »Ist es wahr, was er schreibt? Entnehmt ihr jungen Menschen Blut, um Alte zu heilen? Ist der kranke Mann damals an den Folgen dieser Behandlung gestorben?« Sie packte ihn wieder am Arm, als er sich |244| wegdrehen wollte. »Johann, ist der Mann an meinem Blut gestorben?«
Er sah sie missmutig an. Dann seufzte er und gab nach. »Im jungen Blut steckt die Lebenskraft, Helene, das hat sich schon oft erwiesen. Ihm wohnt eigenes Leben inne, es ist Leib, Flamme und Geist. Selbst bei Ovid steht geschrieben, wie Medea Jasons Vater die Kehle aufschlitzt, um altes Blut zu entlassen und durch junges zu ersetzen. Es gibt Patienten, die mit unserer Methode gerettet wurden, und andere, die diese Kraft nicht überleben.« Er schüttelte den Kopf. »Es ist vermessen, diese Behandlung zur Scharlatanerie zu erklären, wie Hufeland es tut. Denn es scheint einen Unterschied in der Übertragung zu geben, den wir mit den Methoden der Alchemie auszugleichen suchen. So, wie auch Medea dem Blut Ingredienzien beisetzte, um Aeson zu verjüngen.«
»Und der Mann, Johann. War es mein Blut, das ihn tötete?« Helenes Augen füllten sich mit Tränen.
»Es sind alte Menschen, derer wir uns bedienen, Menschen, nach denen der Tod bereits seine Hand ausstreckt. Ich kann nichts Verwerfliches daran finden.«
»Du hast meine Frage nicht beantwortet!« Sie schrie es hinaus. Vogt fasste sie am Kinn und drehte ihr Gesicht, flüsterte ihr ins Ohr: »Die Materie muss durch das Tor der Finsternis, um im Licht des Paradieses erneuert zu werden. Das ist das Gesetz, und wir werden daran nichts ändern können.«
Er griff nach seinem Koffer und ging zur Tür.
»Eines noch«, beharrte sie und eilte ihm nach. »Was ist damals wirklich mit Albert geschehen?«
»Ich habe dir alles erzählt!« Er schob sie beiseite und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange. »Ich komme wieder«, sagte er.
Es klang, als sei es eine Drohung.
|245| 3
JENA
OSTERN 1793
Die Postkutsche ruckelte gemächlich vor sich hin. Hufeland blickte aus dem Fenster. Mit jeder Meile, die er sich Jena näherte, wurde seine Freude größer und verdrängte alle Bedenken. Nun hatten sie bereits das Rautal erreicht, das umgeben war von hohen Bergen. Von einem Felsen stürzte ein Wasserfall in die Schlucht. Überall standen dunkle Tannen, in denen Raben hausten, die, vom Lärm der nahenden Kutsche erschreckt, laut kreischend aufflogen.
»Wann sind wir da?« Der kleine Eduard rieb sich die Augen und sah zu seiner Mutter.
»Bald, mein Schatz«, flüsterte Juliane und strich ihm über den Kopf. Zärtlich betrachtete Hufeland seine junge Frau, als er den neugierigen Blick der gegenübersitzenden Dame bemerkte und ihr höflich zunickte.
»Entschuldigen Sie, ich habe mich nicht getraut, Sie anzusprechen. Aber Sie sind doch nicht etwa Christoph Wilhelm Hufeland?«, fragte sie und errötete.
»Doch, verehrte Dame, das bin ich.«
»Wenn ich mich vorstellen darf: Ich bin Elisabeth von Sonthofen, glühende Verehrerin Ihrer feinsinnigen Aufsätze im
Journal des Luxus und der Moden
. Vor allem der Artikel
Ein Schönheitsmittel nicht aus Paris
hat mich zutiefst beeindruckt.« Und sie beugte sich vor, als wolle sie ihm ein Geheimnis verraten. »Ich habe längst erraten, dass Sie der Verfasser der anonymen Artikel sein müssen. Denn wer sonst sollte in diesem
Weitere Kostenlose Bücher