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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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setzt sein ganzes Vertrauen auf Arzneien und Rezepte und ist überzeugt, dass zum Kurieren weiter nichts gehört, als den Namen der Krankheit und ein darauf passendes Mittel zu wissen. Was für ein Irrtum! Ich kenne keine einzige Krankheit, von der man sagen könnte, dieses Mittel, diese spezielle Kurmethode ist diejenige, die immer und als einzige hilft!«
    Die Tür zum Auditorium öffnete sich. Eine hochgewachsene junge Frau drängte sich durch den Spalt in den Saal und blieb am Rande stehen. Hufeland, für einen Moment in seiner Rede irritiert, sah auf das Blatt vor sich und fuhr fort:
    »Nicht der äußere Schimmer glänzender Hypothesen oder vielversprechender Rezepte sei unser Zweck, nicht größte Einfachheit in der Auswahl der Mittel. Wahrheit sei unser höchstes, unser einziges Gut. Wahrheit und Aufklärung.«
    Kaum war der letzte Satz verklungen, brandete anhaltendes Klopfen auf, manche trampelten gar mit den Füßen. Die ersten Studenten drangen an das Katheder und überhäuften Hufeland mit ihren Fragen. Ob er sich über den Rahmen der Vorlesungen hinaus für persönliche Konsultationen zur Verfügung stellen würde oder ob er in seinen Vorlesungen
Über die Kunst, das menschliche Leben lange und brauchbar zu erhalten
tatsächlich von alten Gebräuchen und vielversprechenden Elixieren abraten wolle. Während Hufeland sich um Antworten bemühte, klopfte ihm Loder anerkennend |251| auf die Schulter, weitere Professoren gratulierten, und es dauerte wohl mehr als eine Stunde, bis er die Tür zum Auditorium hinter sich schließen konnte.
    »Das war eine sehr mitreißende Rede«, hörte er eine weibliche Stimme, und als Hufeland sich zu ihr umdrehte, erkannte er die junge Frau, die sich verspätet in die Vorlesung geschlichen hatte.
    »Woher wollen Sie das wissen, Sie haben ja nur die Hälfte mitbekommen«, sagte er scherzhaft.
    »Ausreichend, um zu gestehen, dass Sie mich beeindruckt haben. Was Sie allerdings schon im vergangenen Jahr taten.« Sie lächelte, und ihre klaren blauen Augen blitzten. »Ich habe Ihren Artikel im
Neuen Teutschen Merkur
gelesen.«
    »So?« Das allerdings beeindruckte ihn nun seinerseits. Die Frauen, die er kannte, interessierten sich nicht für Artikel in politischen und wissenschaftlichen Journalen. »Sie kommen mir bekannt vor.«
    Sie lächelte wieder, und eine feine Röte überzog ihr Gesicht. »Ein dünnes Mädchen in zu kurzem Kleid mit angesetzten Samtborten, eine Reisetasche …«
    »Helene Steinhäuser!«
    »Sie haben ein ausgezeichnetes Gedächtnis!«
    »Was in diesem Fall nur Ihrer Beschreibung zu verdanken ist«, sagte er und betrachtete ihr Gesicht. Es war so anders als das des Mädchens, dem er vor Jahren die Hand zum Abschied gedrückt hatte. Die hohen Wangenknochen verliehen ihrem Äußeren etwas Apartes, offenbarten im Zusammenspiel der sanft geschwungenen Lippen eine Mischung aus Stärke und Verletzlichkeit. Aus dem ungelenken Mädchen war eine Schönheit geworden, die sich nicht an konventionellen Idealen messen ließ. »Sie sind kaum wiederzuerkennen! Wie ist es Ihnen ergangen?«
    »Nun, ich bin zufrieden«, sagte sie ausweichend. »Ich bin gekommen, um …« Sie zögerte kurz. »Erinnern Sie sich noch an meinen Bruder Albert?«
    »Aber selbstverständlich. Ich denke oft an ihn.« Die Kirchturmuhr schlug sechs. »Wollen Sie mich ein Stück begleiten? Ich muss |252| zurück, meine Frau und ich erwarten Gäste, die meinen Antritt feiern wollen.«
    Auf dem Weg wurde Hufeland immer wieder von Studenten angesprochen, so dass Helene nicht dazu kam, ihr Anliegen zu erklären, und bald waren sie beim Torbogen zum Haus. Hufeland fragte, ob sie nicht mit ihnen feiern wolle, es wäre ihm ein Vergnügen. Doch sie schüttelte den Kopf.
    »Ich möchte Sie nicht länger behelligen. Sagen Sie mir nur eines. Glauben Sie, dass mein Bruder damals das Opfer eines hitzigen Duells geworden ist?«
    Der kleine Eduard kam durch das Tor gelaufen, hinter ihm schritt Minchen, die ihren Rock raffen musste, um ihm folgen zu können. Hufeland hob seinen Sohn auf den Arm.
    »Sie müssen nichts dazu sagen, wenn Sie nicht möchten«, beeilte Helene sich zu sagen. »Wenn Sie auch der Einzige sind, von dem ich mir eine ehrliche Antwort erwarte.«
    »Nun …« Hufeland setzte Eduard wieder ab und bat Minchen, ihn ins Haus zu bringen, er selbst komme gleich nach. »Nun, es ist schon eine Weile her. Aber ich kann Ihnen bestätigen, dass Anlass zum Zweifel besteht. Albert war Teil einer Verbindung, die

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