Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
Läden zu schließen.
Hart wurde gegen die Wohnungstür gehämmert, und während |239| Vogt nach vorn eilte, um zu öffnen, warf sich Helene rasch einen Umhang über das Nachthemd.
Zwei Studenten, die bei ihnen häufig zu Gast waren, kamen aufgebracht hinein. »Teubner, Schütz, sie alle sind verhaftet worden«, rief der eine. »Sie wollen nicht nur die radikalen Geheimbünde ausrotten, auch den Landsmannschaften geht es an den Kragen.«
»Den Landmannschaften?«
»Krämer, Subsenior der Mosellaner, hatte sich letzten Donnerstag beim öffentlichen Picknick auf der Rose gezeigt und zum Tumult aufgerufen. Er hatte eine Waffe mit sich geführt und damit gedroht, sie einzusetzen, wenn man ihn wegschleife. Dann hat er eine Rauferei mit einem griechischen Studenten angezettelt, von dem man vermutet, dass er ein Spitzel sei. Nun hat man Krämer durch ein Militärkommando abführen lassen.«
»Die Mosellaner versammeln sich in Ziegenhain und warten darauf, ihren Anführer zu befreien«, ergänzte der andere mit sich überschlagender Stimme. »Der Herzog hat angeordnet, jeden von ihnen, der die Stadt wieder betritt, festzuhalten und auf die Weimarer Hauptwache bringen zu lassen. Auch uns droht die Haft, wenn wir nicht verschwinden.«
»Aber unsere Namen sind ihnen nicht bekannt«, warf Vogt ein und sah mit unruhigen Augen von einem zum anderen.
»Doch. Der Kommissar des Geheimen Consiliums ermuntert zur Denunziation mit Zahlung einer Prämie.« Er ballte die Fäuste. »Jemand hat unsere Namen verraten!«
»Elendes Maulwurfsgeschlecht!« Mit einem Schlag schien Vogt nüchtern. »Scheißkerle! Man nutzt die Unruhen, um uns zu zerschlagen. Rasch, wir müssen zum Labor!«
Ohne Helene eines Blickes zu würdigen, griff Vogt seinen Degen und folgte den beiden hinaus in die Nacht. Sie sah vom Fenster, wie er sich in die Menschenmasse drängte, die sich den Marktplatz hinaufschob, dann verschwand sein wippender Schopf in der Menge.
Helene trat vom Fenster zurück, schwer atmend.
Johann hatte in den letzten Jahren mit einer Besessenheit an seinen Forschungen zur Verlängerung des Lebens gearbeitet, wie sie |240| sie von ihrem eigenen Vater kannte. Nur dass dieser sie bei seinen Experimenten hatte zusehen lassen. Johann hingegen sprach nicht mit einem Wort von seiner Arbeit. Aber im Lauf der Zeit hatte sich auch eine schwelende Wut dazugesellt, die ihn immer öfter hinaus auf die Straße trieb, wo er sich in Schlägereien stürzte. Er wird mir immer fremder, dachte sie und war fast eifersüchtig auf die Männer, mit denen er fortgelaufen war und die wenigstens wussten, was ihn beschäftigte.
Helene hob einen einsamen Schnipsel des Artikels auf, der vor dem Fenster auf dem Boden lag. Was meinte dieser Hufeland damit, wenn er schrieb, dass einige Menschen bei diesen Versuchen starben? Sie hatte immer gedacht, der Tod dieser Menschen sei natürlicher Ursache gewesen und nicht von den Experimenten selbst verursacht worden.
Hufeland … Plötzlich meinte sie, sich an den Namen erinnern zu können. Während ihre Gedanken zu dem Tag wanderten, an dem sie Jena erreicht hatte, klopfte es laut an die Tür. »Aufmachen! Im Namen der Jenaer Stadtkommandantur, öffnen Sie!«
Noch ehe Helene dem Befehl Folge leisten konnte, hörte sie schon das Krachen von Holz. Zwei Polizeiwachtmeister stürmten grußlos an ihr vorbei und begannen, die Räume zu durchsuchen. Helene folgte ihnen in die Küche, wo sie vor dem Arbeitstisch standen, an dem sie das Konfekt herstellte.
»Was wollen Sie?«, rief sie aufgebracht.
»Wo ist Johann Vogt?«
»Ich weiß es nicht! Was wollen Sie von ihm?«
»Das muss ich Ihnen wohl nicht erklären.«
»Doch, das müssen Sie. Mein Mann ist ein angesehener Arzt und Wissenschaftler!«
Die beiden Männer sahen sich an. »Wissenschaftler?«, sagte der eine schließlich. »Sie meinen, dieses Zeug hier stammt von ihm?«
Er griff in das Regal seitlich des Arbeitsplatzes, wo neben ihren Behältern für Gewürze und Duftessenzen auch Flaschen des
Vogtschen Lebenswassers
standen, und fegte mit einer einzigen Bewegung Tiegel, Töpfe und Flaschen herunter.
|241| »Nicht«, schrie Helene und versuchte, ein Fläschchen Vanilleessenz aufzufangen, doch es misslang, und das feine Glas zerschellte gleich den Porzellantiegeln und Keramikschalen am Boden. »Hören Sie sofort auf!« Ein intensiv süßlicher Geruch breitete sich aus. Sie kniete sich hin, wischte mit bloßen Fingern kostbares Zimt in unversehrte Scherben, hinderte
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