Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
Zubereitungsformen beschreibt, die ein Apotheker kennen muss, werden sich die Zustände im Gesundheitswesen nicht bessern. Wie sonst sollen Ärzte sicher sein, die richtige Zusammensetzung zu verabreichen, wenn jeder Apotheker seiner eigenen Herstellungsweise folgt.«
»Du verlierst dich in deiner Gelehrsamkeit und vergisst dabei, für unseren Lebensunterhalt zu sorgen!« Henriette fuchtelte mit den Händen in der Luft, so dass Hahnemann sich unwillkürlich duckte. Ihre Wangen hatten ein ungesundes Rot angenommen. »Ein öffentlicher Bericht über die erfolgreiche Heilung des Geheimen Kanzleisekretärs |256| hätte uns noch mehr wahnsinnige Standespersonen beschafft. Wir sind hier doch endlich glücklich, oder etwa nicht?«
Hahnemann antwortete nicht, ließ seinen Blick über den gewaltigen Schlosspark schweifen, die sorgfältig angelegten Baumgrüppchen, die Blumenrabatten, den kleinen Teich mit den Enten und Schwänen, weiter über das anmutige Tal inmitten des Thüringer Waldes bis hin zu dem kleinen beschaulichen Ort, dessen Ziegeldächer man bereits von weitem sehen konnte. Wahrlich, ein Platz, um glücklich zu sein, und doch hatte er in den letzten Wochen eine Unruhe verspürt, gegen die er nicht anzugehen vermochte.
Er sah seine Ehefrau an. Ihre Augen leuchteten wütend. Henriette war seinen Kindern eine liebevolle Mutter. Er mochte sie nicht enttäuschen, aber er würde sich auch nicht von seinem Weg abbringen lassen.
»Ja«, sagte er gereizt, »doch ich erwähnte es soeben, ich werde den Herzog um Aufschub bitten.« Ohne ein weiteres Wort ging er ein paar Schritte in den weitläufigen Park und versuchte, Henriettes Gezeter zu ignorieren, das nun in ein Flehen überging, ihr doch zuzuhören, ein Aufschub sei ja nur kurzfristig. Es müsse ja kein Schloss sein, eines der hübschen kleinen Häuser am Ufer des Hammerteiches würde reichen, und sie könnten es sich mit dem Lohn für Klockenbrings Heilung doch gewiss leisten.
Hahnemann ging weiter. Nein, sie hatte es noch nie verstehen können, seine Unrast. Henriette verlangte nach einer Heimat, doch er war ein Getriebener. Er konnte sich nicht an diesem kleinen Ort niederlassen, der nur eine unbedeutende Station war. Was war schon die Heilung eines Wahnsinnigen, was bedeuteten die Einkünfte einer ländlichen Praxis, wenn man mit seinen Erforschungen die Welt verändern könnte!
Die Probe der Chinarinde hatte ihm den Weg gewiesen. Stück für Stück hatte er sie gekaut, bis sie in seinem Körper ein Fieber entfachte, das dem Wechselfieber gleichkam. In dem Moment, als sein Körper vom Gift der Pflanze im Fieber geschüttelt wurde, hatte er begriffen, dass Gott der Menschheit nicht nur die Krankheiten gegeben hatte, sondern auch die Werkzeuge, sie zu heilen. |257| Die Natur bestand aus Zeichen, die auf das unsichtbare Wesen ihrer Träger hindeuteten, das hatte bereits Jahrhunderte vor ihm Paracelsus erkannt. Mit der äußeren Form der Dinge, die er schuf, wies Gott gleichsam auf ihr inneres Wesen. Wer die Heilkraft in der Natur erkennen wollte, der musste deren Signaturen wahrnehmen. Doch wie oft war er an dieser Lehre verzweifelt? Das Herzgespann half gegen das Herzklopfen und war doch auch harntreibend und dienlich bei Hysterie. Die wollige Wurzel des Frauenmantels besaß das Aussehen einer Scham und war doch nicht nur bei Frauenleiden, sondern auch bei verdorbenem Magen hilfreich. Nein, so einfach war es nicht.
Hahnemann atmete tief ein, sog die klare Abendluft in seine Lungen. Eine Fledermaus zog ihre Kreise und verschwand in den Wipfeln der Bäume.
Seine Entdeckung reichte jedoch weit über die Lehre der Signaturen hinaus. Er dachte an die Versuche, die er am eigenen Leib durchgeführt hatte und die ihn in seiner Erkenntnis bestätigten. An den Schwindel und den unleidlichen Magendruck bei der Probe der Küchenschelle, die pulsierende Hitze der Tollkirsche. Er hatte sich mit den Arzneien selbst krank gemacht, um zu erforschen, gegen welche Erkrankungen sie halfen. Und was er dabei erfasste, war von unermesslichem Wert für die Menschheit:
Es waren nicht die der Krankheit entgegengesetzten Mittel, die Heilung brachten, wie es die Ärzte noch immer in die Welt posaunten. Contraria contrariis curantur? Nein, das genaue Gegenteil war der Fall. Heilsam waren jene Mittel, die in ihrer Vergiftung der Krankheit ähnliche Symptome erzeugten. Similia similibus curentur! Nun endlich erschloss sich ihm die göttliche Gesetzmäßigkeit hinter dem, was bereits
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