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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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Accouchierhaus das letzte Mal gesehen. Damals hatte ich unsagbare Furcht. Ich dachte, er käme, um mich an meinen Eid zu erinnern.«
    Hufeland merkte auf. Der Tag, an dem Minchen entbunden hatte, war ihm plötzlich wieder gegenwärtig. Als wäre es gestern gewesen, spürte er wieder die schwülwarme, stickige Luft, als er den Saal betreten hatte, die Unruhe, die dort entstanden war, als Minchen um sich schlug und voller Angst zur Tür blickte. Einer hatte dort gestanden, erschrocken über die Heftigkeit ihrer Rage. »Ludwig Gerstel«, flüsterte er und wusste nicht, was er mit dieser Erkenntnis anfangen sollte.
    Eine Weile saßen sie schweigend da. Hufeland dachte an all die jungen Mädchen, die sich im Accouchierhaus gemeldet hatten, um |274| ein Kind zu entbinden, an dessen Zeugung sie sich nicht zu erinnern vorgaben. Und er dachte an Helene und fragte sich, ob man sie dort auch missbraucht hatte.
    »Mir fällt noch etwas ein, und ich weiß nicht, ob es von Bedeutung ist. Aber sie baten mich, ihnen mitzuteilen, wenn meine erste Blutung kommt.«
    »Und? Haben Sie es getan?«
    Sie nickte. »Das war kurz bevor sie mich das letzte Mal ins Labor bestellten.«
    Welch grauenhafte Welt, dachte Hufeland, in denen sich archaische Riten mit neuen Methoden verbanden. Wollten sie ihren unheilvollen Samen in die Welt pflanzen? Es gab noch so vieles, was er nicht verstand.
    Dann war die Musik verklungen, die Lichter verlöscht. Juliane kam die Treppe hinauf, in der Hand eine Lampe. Sie erblasste, als sie die beiden erblickte. »Ah, ich komme wohl gerade zur rechten Zeit. Ist das hier ein heimliches Stelldichein?«
    Sofort sprang Minchen auf und eilte in ihre Kammer.
    »Du kannst gleich deine Sachen packen«, rief Juliane erbost hinter ihr her. »Ich will dich nie wieder sehen!«
    »Juliane!« Hufeland sah sie streng an, doch Juliane lief an ihm vorbei ins Schlafzimmer und versperrte die Tür. »Du wirst jetzt sofort öffnen«, rief er aufgebracht.
    »Geh doch zu Minchen«, rief es von innen. »Die wird dir gewiss einen Platz in ihrem Bett lassen.«
    »Hör sofort mit diesem furchtbaren Unsinn auf! Sie hat geweint, ich habe sie getröstet. Daran kann ich nichts Verwerfliches erkennen!«
    »Ach ja? Mir scheint, du hast nur darauf gewartet, endlich mit ihr allein zu sein.«
    »Ich bitte dich, wenn ich mit ihr hätte allein sein wollen, dann hätten wir nicht auf der Treppe gesessen.«
    Hufeland stieß einen leisen Fluch aus, und gerade als er beschlossen hatte, die Nacht auf dem Sofa im Salon zu verbringen, hörte er, wie der Riegel umgelegt wurde. Juliane öffnete die Tür |275| einen Spaltbreit. Ihr Dekolleté erschien ihm noch tiefer als zuvor. »Den Burschen hat mein heutiger Auftritt gefallen«, sagte sie und verzog den Mund zu einem Schmollen. »Während du an mir vorbei nach oben gelaufen bist, ohne mich zu beachten.« Sie nahm seine Hand und zog ihn ins Zimmer. Im Licht der Lampe schimmerten ihre Augen dunkel. »Seit wir in dieser Stadt sind, bist du mir so fern.«
    Sein Zorn war augenblicklich verraucht. Vielleicht hätte er sie mehr in seine Gedanken einbeziehen sollen? »Nein, Juliane, das bin ich nicht. Mir geht nur so vieles durch den Kopf.«
    »Hat es etwas mit mir zu tun?«
    »Auch. Ich mache mir Sorgen um dein Wohlbefinden.«
    »Mir geht es gut, Christoph, solange du bei mir bist.«
    Er nahm sie in den Arm und strich ihr sanft über den Rücken. »Juliane, wir müssen reden. Ihr müsst fort.«
    »Fort?« Sie sah ihn empört an und löste sich aus der Umarmung. »Damit du ungestört mit dieser Dirne herumscharwenzeln kannst?«
    »Juliane, hör endlich damit auf. Minchen ist keine Dirne. Sie kommt mit euch. Sie passt auf die Kinder auf und geht dir zur Hand. Ich habe heute Dinge erfahren, die mich um eure Sicherheit sorgen lassen.«
    »Du willst mich nur loswerden.«
    »Liebste, nein. Niemals. Aber ich habe Grund zu der Annahme, dass mein Schwager ermordet wurde. Und dass die Mörder noch immer unter uns sind.«
    Juliane sah ihn mit großen Augen an. »Ist das wahr?«
    »Ja.«
    »Dann musst du mit uns kommen.«
    »Ich kann nicht. Ich bin lange genug davongelaufen. Wenn ich mich dem jetzt nicht stelle, wird es mir mein ganzes Leben folgen.«
    »Dann bleibe ich auch! Minchen kann mit den Kindern fahren.«
    Hufeland fasste sie fest an den Schultern, beinahe hätte er sie geschüttelt. »Nein, Juliane, auch du wirst fahren, und ich dulde keinen Widerspruch! Ich werde nicht erlauben, dass dir etwas zustößt, |276| nur weil

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