Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
hätten mich vorher fragen sollen, ob ich den Medizinalrat zum Mann nehmen will!« Nun brach sie in Tränen aus.
»Es steht dir nicht zu, so etwas zu sagen!«
»Nein, es steht mir nicht zu«, flüsterte sie mit erstickter Stimme. »Dennoch ertrage ich den Gedanken daran nicht!«
Er musterte sie, die Hände in den Taschen seiner Schürze verborgen.
|43| »Ich denke«, erwiderte er und sah auf einmal sehr müde aus, »ich denke, du wirst dich schon damit abfinden. Er ist ein honoriger Mann. Du wirst es gut haben.«
»Er riecht furchtbar.«
Mechthild wäre ihr bereits mit dem Rohrstock beigekommen, Friedrich Steinhäuser aber schwieg.
»Im Übrigen«, sagte er schließlich mit eisiger Stimme, »solltest du froh sein, dass dich überhaupt jemand nimmt, so wie du aussiehst.«
Sie folgte seinem Blick, blickte an sich hinunter und bemerkte die schwarzen Schlieren, die sich quer über ihr helles Kleid zogen. »Man kann das waschen«, murmelte sie und ging zu der schmalen Treppe, die zum Wohnbereich führte, »im Gegensatz zu dem Dreck, der dem Medizinalrat anhaftet.« Sie rief es laut und hastete mit gerafftem Rock an ihren beiden jüngeren Halbbrüdern vorbei, die wohl hinter der Tür gelauscht hatten und nun erschrocken beiseitesprangen. Weiter die Stiege hinauf in ihre Kammer, die sie augenblicklich verschloss.
Innerlich aufgewühlt ging sie zur Dachluke, stieß sie weit auf. Über ihr zogen sich dunkle Wolken zusammen, tauchten die Silhouette der Stadt in tiefe Schwärze. Helene sah hinaus in Richtung des Hafens und ließ den Tag Revue passieren, an dem der Geheime Medizinalrat Meschkat ihr seine Zuneigung gestanden hatte.
Die ganze Familie war zum Abendessen in sein Haus geladen, was nicht ungewöhnlich war, denn Meschkat bezog den Großteil seiner Arzneien in Friedrich Steinhäusers Apotheke und war so im Lauf der Zeit ein gerngesehener Gast bei ihnen geworden.
Nach dem Essen hatten sich die Männer zurückgezogen, um Pfeife zu rauchen und ernsthafte Gespräche zu führen. Später waren sie alle gemeinsam im weitläufigen Garten spazieren gegangen und hatten die prächtigen Staudenbeete bewundert, als der Medizinalrat Helene von den anderen fort zu einer rosenumrankten Bank zog. Dort hatte er sie angesehen, mit seinen wässrigen Augen. Ihre Hände gehalten. Jene unfassbaren Worte ausgesprochen, von Verehrung und Liebe.
|44| »Und das Reisen?« Es war ihr herausgerutscht. Was machte es für einen Unterschied?
»Das Reisen?« Auf seinem Gesicht stand ein Ausdruck des Erstaunens. »Wohin denn, in Gottes Namen? Wo könnte es schöner sein als hier, in Königsberg?« Er hatte kurz versucht, sie an sich zu ziehen. Bei dieser fast beiläufigen Bewegung war ein scharfer Geruch zu ihr herübergeweht, der sie augenblicklich zum Aufspringen zwang.
Helene schauderte. Wie sollte sie die Gefühle beschreiben, die sie überkamen, wenn sie an seine selbstgefällige Erscheinung, den feisten Bauch, den nach Rauch stinkenden Atem dachte und an die fleischigen Hände, die ihr über das Gesicht tätschelten, als sei sie eine Ware, die man begutachtet. Wie konnte ihr Vater glauben, sie würde an seiner Seite durchs Leben gehen, am selben Tische essen, das Bett mit ihm teilen?
Helene wischte sich übers tränennasse Gesicht und ballte die Hände zu Fäusten. Es war so abscheulich, so demütigend, dass ihr Schicksal über ihren Kopf hinweg entschieden werden sollte. Lieber wollte sie mit den schmutzigsten Seeleuten um die Welt reisen, nach Indien, Rom oder ins ferne Byzanz, als den Mann zu heiraten, dessen Geruch unbezwingbare Übelkeit in ihr hervorrief!
Ein verwegener Gedanke schlich sich in ihren Kopf, formte sich zu einem Rettungsanker: Albert würde sie verstehen. Vielleicht würde er sie auch zurück nach Hause schicken, aber das glaubte sie nicht. Es war der einzige Weg.
So begann sie, einen abenteuerlichen Fluchtplan zu spinnen. Sie würde sich in Jungenkleidung auf den Weg machen, einen Koffer mit Kleidern und ein wenig Geld mit sich nehmen. Sie wusste, wo die Truhe mit der Mitgift stand, die Mechthild bereits eifrig packte. Sich dort etwas zu nehmen war gewiss nicht stehlen, es war ja für sie gedacht.
Sie lauschte auf die Geräusche im Haus, die knarrenden Dielen, leise Gespräche, klappernde Türen, und so sehr sie ihre Gedanken erschreckten, schien ihr der Plan doch der einzige Ausweg. Ja, sie würde nicht einen Moment länger zögern. Gleich morgen früh, sobald |45| die ersten Sonnenstrahlen den Himmel
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