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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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immer wiederkehrenden Ritual. Das Klappern der Geräte und Töpfe drang aus der Küche. Nun würde Luise, wie jeden Tag, die lauwarme Biersuppe bereiten und einen gehörigen Schluck davon trinken, vielleicht auch zwei oder drei, bis sie dem sanften Rausch erlag und sich auf die Küchenbank legte, um wieder zu erwachen, wenn die Standuhr sechs schlug.
    Schließlich verstummten die Geräusche. Ein Blick in den Spiegel hatte Helene gezeigt, dass der erste Teil ihres Planes gelungen war. Ihr Haar hatte sie unter einer zerzausten und mühevoll glatt gekämmten Stutzperücke versteckt, das Mieder unter dem Hemd zusammengeschnürt, um ihre Brüste zu verbergen, die sich sonst deutlich abzeichneten.
    Die Kleidung roch noch nach Albert. Sehnsuchtsvoll sog sie den Duft ihres Bruders ein, als sie am feinen Hemd schnupperte. Gestern noch hatten die Sachen darauf gewartet, von den jüngeren Halbbrüdern aufgetragen zu werden, heute hüllten sie Helene in Zuversicht.
    Das Haus war still, das Knarren des Bodens verklungen, ohne jemanden in seinem Schlaf zu stören. Langsam schlich sie weiter, die schwere Tasche geschultert. Aus der Küche drang leises Schnarchen. Dem Geruch nach war Luise noch vor dem Morgengrauen auf dem Fischmarkt gewesen, es würde fetttriefende Moränen geben, frisch aus dem Rauch.
    Nun rasch weiter, die Stiege hinab, an jener Tür vorbei, die zu Labor und Verkaufsraum führte. Helene zögerte, dann drückte sie die Klinke hinunter. Nur ein kurzer Blick.
    Seufzend strich sie über das dunkle Holz der Schränke, die im Verkaufsraum bis an die Decke ragten und sauber beschriftete Gefäße aller Art beherbergten, aus zinnglasierter Keramik und |48| glattem Porzellan. Sie öffnete Schubladen, roch an Seifen und Arzneimitteln, Simplicia und Composita, verweilte ein wenig länger bei Friedrich Steinhäusers Spezialmittel, das er in jahrelanger Arbeit erprobt hatte und nun teuer an kurzatmige Herrschaften verkaufte. Dann die Kuriositäten, ein Affenschädel, das Franzosenholz und die Simarubarinde, die getrockneten Kröten und die Bärenzähne. Noch einmal sah sie in das Labor, in dem Friedrich Steinhäuser seine Arzneien herstellte. Die langhalsigen Destillierkolben, Kessel und Wannen, Pulverdosen, Gewürzbeutel und Tiegel. Der mehrflammige Herd und der Arbeitstisch, auf dem das fertige, zartknusprig geflämmte Marzipankonfekt lag. Daneben der Flakon mit dem kostbaren Rosenwasser, das dem Marzipan sein betörendes Aroma verlieh.
    Aus dem Raum über ihr drangen aufgeregte Geräusche, es war das Jungenzimmer, einer der beiden schrie im Traum. Ohne zu überlegen, griff Helene nach dem Flakon, steckte ihn in die ehedem von Steinen und Stöcken geweitete Hosentasche, schob den Riegel des hinteren Eingangs beiseite und trat durch den schmalen Torbogen hinaus auf die Gasse.
    Die Luft war kühl, und es wehte ein scharfer Wind. Eine Frau lief an ihr vorbei, ein weinendes Kind mit sich ziehend. Ein Mann eilte hinterher, den Mantel fest geschlossen. Helene fror.
    Nur kurz betrachtete sie das Haus, in dem sie geboren worden war, das neue Messingschild, auf das Vater so stolz war, dann wandte sie sich ab. Sie würden nicht nach ihr suchen, dachte sie, und vielleicht war es ihr jetzt auch gleich.
    Die Bäume neigten sich im Wind, er löste erste Blätter, die aufgescheucht zur Erde trudelten. Es war noch dunkel, dichte Wolken, die schnell über den Himmel zogen, verwehrten dem Tag das Licht. Die Häuser, an denen sie vorbeilief, waren nun kleiner, die Fassaden grauer. Ein zahnloser alter Mann in Lumpen saß singend auf den Stufen eines verfallenen Anwesens und hielt seine Hände mit den Flächen nach oben, die Vorbeieilenden aufmerksam fixierend. In der Ferne schlug die Turmuhr sechs.
    Je näher Helene der Postkutschenstation kam, desto belebter |49| wurde die Straße. Ein Gewimmel von Reisenden, Boten und Schaulustigen, die ihre Hälse reckten, als wollten sie den Blick auf etwas erhaschen, das sie später ihren Nachbarn und Freunden erzählen konnten. Helenes Gang wurde federnd trotz ihres schweren Gepäcks.
    Vor der Station stand eine überdachte Kutsche mit vier stämmigen Pferden, eines davon graugescheckt, den Kopf lebhaft schüttelnd. Zwei Jungen kletterten auf den Kutschbock, schnalzten mit der Zunge und lachten über die Unruhe, die unter den Tieren ausbrach, bis der livrierte Postillion angelaufen kam und sie mit erhobener Faust vertrieb.
    In der kleinen Station herrschte reger Betrieb. Ein stattlicher Mann mit

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