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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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nachtblauem Gehrock drängte sich durch die gaffende Menge und rief nach seiner Frau. Sein Rufen vermochte das Stimmengewirr kaum zu übertönen, Litauisch, Deutsch, ostpreußisches Platt. Helene schob sich voran, bis sie vor dem Postkommissar stand, der gelangweilt von seinem Tisch aufsah.
    »Ich möchte mit der Postkutsche reisen«, sagte sie zaghaft und straffte die Schultern. Der Kommissar legte die Hand hinter das rechte Ohr, sie wiederholte laut den Satz, nun klang die Stimme fester.
    »Wie ist dein Name?«
    »Hans Steinhäuser.« Helene lächelte keck und selbstbewusst, so wie sie es häufig bei ihren Brüdern gesehen hatte.
    Der Mann befeuchtete seinen rechten Zeigefinger und blätterte in seinem Buch. Seite um Seite. »Ich kann keinen Eintrag finden. Dein Pass?«
    Helene erschrak und ärgerte sich im selben Augenblick über ihre Dummheit. Sie hatte das Dokument dabei, aber es trug ihren richtigen Namen. Helene. Nicht Hans. »Ich …«, begann sie stammelnd.
    Die Tür der Station wurde aufgerissen, und eine kräftig gebaute Dame mit kunstvoll getürmtem und gepudertem Haar, sie mochte weit über fünfzig sein, trat ein. Hinter ihr folgte ein großer Mann, der eine breite Reisetruhe durch die Menge zog.
    Helene betrachtete sie mit unverhohlener Neugier, glaubte, sie |50| schon einmal gesehen zu haben. Aber wo? Es war keine jener Damen, die in der Apotheke nach zuckerglasierten Fenchelpillen fragten und denen man in sommerlicher Hitze Luft zufächeln musste, denn trotz üppig wippendem Busen und bleicher Gesichtsfarbe war ihr Auftreten robust, und man hätte ihr ohne weiteres zugetraut, das schwere Gepäck allein zu stemmen. Nur eine Armlänge hinter Helene blieb sie stehen, ungeduldig mit dem Fuß wippend.
    Ihr Begleiter stellte die Truhe ab und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn, während der Kommissar hüstelnd um Aufmerksamkeit bat. »Den Pass bitte.«
    Der kurze Moment der Ablenkung hatte Helene genügt, die Fassung zurückzugewinnen. »Der wurde mir in der Nacht gestohlen«, sagte sie fest.
    Er blickte ihr streng ins Gesicht, dann begriff er offenbar, lächelte und sah sie durchdringend an. »Wo willst du denn hin?«
    »Nach Jena.«
    »Das ist eine weite Reise, Junge. Bist du allein?«
    »Nein«, antwortete Helene rasch. »Das heißt, ja. Mein Bruder lebt dort. Wie lange dauert die Fahrt?«
    Der Kommissar wog den Kopf. »Zwei, drei Wochen, vielleicht länger …«
    Helene stand der Mund offen.
    »Hast du überhaupt so viel Geld?«
    »Sicher.« Es klang erstaunlich selbstbewusst. »Was kostet es denn?«
    »Fünfzig Reichstaler. Für die Verpflegung dreizehn. Dazu diverse Groschen, die du bitter nötig haben wirst, wenn du ohne Pass reisen willst.« Er lachte kurz, kratzte sich am stoppeligen Bart, weidete sich an ihrem offensichtlichen Entsetzen. »Du könntest stattdessen hierbleiben und mir zur Hand gehen«, fügte er flüsternd hinzu und leckte sich die Lippen. »Dann sorge ich dafür, dass du ordentliche Papiere bekommst.«
    Der Postillion trat ein und deutete mit einem Handzeichen an, dass er bereit für die Abfahrt sei. Die Gaffer strömten nach draußen.
    Die ältere Dame drängte wütend nach vorn. »Was in Gottes Namen |51| ist der Grund für diese unglückselige Debatte? Rasch, ich habe gebucht und möchte die Kutsche nicht verpassen!«
    In diesem Moment erkannte Helene sie als Kundin, die selten, aber regelmäßig die Apotheke aufsuchte, um Tiegel mit einer Salbe aus Zinkoxid zu erstehen, die eine reinere, weißere Haut versprach. Schnell trat sie zur Seite.
    Der Kommissar lächelte zerstreut. »Sie sind …«
    »Auguste von Rückertshofen«, sagte die Frau mit hochmütigem Gesichtsausdruck und legte ihm einen Pass vor. »Als ob ich mich Ihnen noch vorstellen müsste. Sie sollten sich schämen.«
    »Gewiss, gewiss!« Der Kommissar sah sie an, als erblicke er sie das erste Mal, betrachtete prüfend das Dokument und strich den Namen von der vor ihm liegenden Liste.
    »Und wo ist Ihre Begleitung?«
    Die Dame schnaubte und schüttelte nur den Kopf.
    »Sie müssen den Platz bezahlen, hören Sie!« Sein Blick fiel auf die große Truhe. »Und überdies verlangt das Gewicht Ihres Gepäckstücks einen Zuschlag.«
    »Werter Herr Kommissar«, sagte Auguste von Rückertshofen mit einer Schärfe, die keinen Widerspruch duldete, »ich werde nur den Platz bezahlen, den ich beanspruche, nicht mehr und nicht weniger.«
    Damit warf sie einige Taler auf den Tisch, griff nach dem Dokument und wollte sich

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