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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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hatte mir in der Irrenanstalt gesagt, er sei entflohen. Doch je länger ich darüber nachdenke, desto unwahrscheinlicher ist es, dass ein derart geschundener und entkräfteter Mann einfach seine Fußketten abstreift und durch die aufgestoßene Tür spaziert. Ich glaube, wir sehen hier das Ergebnis eines wohldurchdachten Plans.«
    »Ein Plan? Wollen Sie damit andeuten, man habe ihn absichtlich freigelassen?«, fragte Helene, die bis dahin geschwiegen hatte.
    »Genau das wollte ich damit sagen. Als ich ihn vor vielen Monaten traf, war er noch im Besitz seiner geistigen Kräfte und erzählte mir von einer wertvollen Rezeptur, die er versteckt hatte. Nehmen wir an, er hat die Wahrheit gesagt und es geht hier um jenes letzte Teil, das dieser Verbindung zur Vollendung ihres grauenvollen Werks fehlt. Doch auch die schärfste Folter und der Versuch, seine Seele zu brechen, schlugen fehl, so dass er sich zum Schutz vor dem Schmerz in eine Welt zurückzog, in der Drohungen nichts mehr zu bewirken vermögen. Was, glauben Sie, sollten die Peiniger noch tun, um an die dringend ersehnte Information zu gelangen?«
    »Sie lassen ihn frei.« Hufeland sah ihn mit größter Bestürzung an. »Sie haben vollkommen recht, so muss es gewesen sein. Als Albert am Boden lag, durchsuchte Carl Lohenkamp ihn nach dieser |348| Schrift, doch ohne Erfolg. Was konnte es anderes bedeuten, als dass sie gut verborgen oder bereits vernichtet war?«
    »Gehen wir von Ersterem aus. Wo könnte Albert sie versteckt haben, wenn nicht in dieser Stadt? Also lassen sie ihn Jahre später als gebrochenen Mann vor den Toren Jenas frei und beobachten ihn. Sie sehen, wohin er geht, was er tut, und hoffen, er würde sie zu dem Versteck führen. Stattdessen geht er direkt zu seiner Schwester, womit sie nicht gerechnet haben.« Er hob die Hände. »Nur eine Hypothese. Aber eine sehr wahrscheinliche.«
    »Und plötzlich taucht Johann wieder auf.« Helene atmete hörbar ein. »Also sind sie ganz in der Nähe. Christoph, glaubst du, sie haben gesehen, wie wir ihn hierhergebracht haben?«
    »Die Stadt ist klein.« Er machte eine hilflose Geste. »Es ist möglich.«
    »Wir müssen ihn fortbringen«, sagte sie. Sie sah zu ihrem Bruder, und zwischen ihren Brauen entstand eine steile Falte, die sich auch auf Henriettes Stirn zeigte, wenn die Sorgen zu groß wurden.
    »Wo wollen Sie mit ihm hin?«, widersprach Hahnemann rasch. »Er ist nicht in der Lage, eine längere Fahrt unbeschadet zu überstehen. Noch ist keine Eile geboten. Sie warten darauf, dass Albert sie zu dem Ort führt, an dem die Rezeptur verborgen ist. Solange, und da gebe ich Ihnen nun recht, werter Kollege, solange er diese Kammer nicht verlässt, wird ihm nichts geschehen. Sie werden warten und ausharren.«
    Den Raum, der ihm so klein und stickig erschienen war, sah er nun in neuem Licht. Hahnemann trat an das Fenster, blickte an den Vorhängen vorbei hinaus auf die Gärten jenseits des Grabens. Die Luft war inzwischen warm und schwer. Er befand, dass es ein ungewöhnlich warmer Maitag war, was für die Gesundung des Patienten nur dann zuträglich sein mochte, wenn er ab und an sein Gesicht in die Sonne hielt.
    Er schob den Vorhang ein wenig zurück, gerade so, dass ein schmaler Strahl Alberts Gesicht beleuchtete, und drehte sich zu dessen Schwester und dem Professor. Die beiden tauschten gerade einen langen Blick aus, den er nicht zu deuten wusste. Helene wendete |349| sich abrupt ab, setzte sich wieder ans Bett und strich Albert über den beinahe kahlen Schädel, dessen absonderlich abstehende Haarbüschel im hellen Licht der Sonne wie kleine Heubüschel aussahen.
    »Die Symptome indessen, mit der Sie die plötzliche Erkrankung Ihres Schwagers beschrieben haben, die Mattigkeit, die anhaltenden Magenschmerzen, das schleichende Fieber, könnten zu einer Arsenikvergiftung passen. Vielleicht haben Sie meine Schrift zur gerichtlichen Ausmittlung der Arsenikvergiftung gelesen?«
    »Nein, das habe ich nicht.«
    »Nun, Professor Gruner hat es getan, und er schien sehr beeindruckt.«
    »Was nicht weiter verwunderlich ist, in diesem Bereich ist er bewandert«, erklärte Hufeland. »Er ist nicht nur Professor für die Medizinhistorie, er hält auch Vorlesungen zur Pathologie.«
    »So?« Das war allerdings ein überaus interessanter Hinweis. »Ich möchte Ihnen eine Information nicht vorenthalten. Als ich vor wenigen Tagen in der Leipziger Irrenanstalt war, nutzte ich in einem unbeaufsichtigten Moment die Gelegenheit,

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