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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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zu entreißen, bis er sich als Reaktion darauf für immer dorthin zurückzieht. Es gibt andere Möglichkeiten. Kürzlich machte ich eine wichtige Entdeckung zur Heilkraft natürlicher Substanzen. Ich habe bereits den Erfolg der Anwendungen beim Geheimen Kanzleisekretär Klockenbring erleben dürfen und werde versuchen, eine Arznei zu finden, die Alberts Erkrankung entspricht. Doch zuallererst sollten wir damit beginnen, seinen Körper abzuhärten.«
    »Abhärten?« Hufeland schüttelte den Kopf. »Sie sehen doch, was man ihm angetan hat. Mehr Reize wird er nicht ertragen können. Man muss ihn sedieren, um ihn nicht weiter aufzubringen.«
    »Ich bitte Sie, mein lieber Hufeland, Sie klingen beinahe wie John Brown, und ich hoffe doch sehr, Sie sind keiner seiner unbelehrbaren Anhänger.«
    »Unterlassen Sie solche Scherze«, antwortete Hufeland sichtbar empört. »Das ist keine Frage wissenschaftlicher Vorlieben, es ist eine Frage, welche Therapien man dem Patienten zumuten kann.«
    »Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede. Und damit meine ich nicht die Art der Abhärtung, die man all den verweichlichten Menschen verordnen sollte, die in Pelzjäckchen am warmen Ofen sitzen, in den weichsten Eiderdaunen schlafen, sich mit vielstündiger Völlerei vergnügen und beim leisesten Lüftchen glauben, sie würden eines eisigen Todes sterben. Ich meine den Gang in der frischen Luft am frühen Morgen, noch bevor die Sonne sich erhebt. Das barfüßige Schreiten durch taufrisches Gras, den Aufenthalt in unberührter Natur und das Bad in einem kalten See. Das |346| erfrischt die Sinne und tut ein Übriges, um die Nerven zu stärken.«
    »Lieber Kollege, bei allem Respekt, das wird nicht möglich sein.«
    »Und warum nicht?«
    »Dazu kann ich nicht viel sagen. Doch der Patient darf den Raum nicht verlassen, aus gutem Grund.«
    »Und der wäre? Welcher Grund kann groß genug sein, einem Kranken seine Heilmittel zu verwehren? Wie soll jemand gesunden, hier, in dieser kleinen Kammer?« Er sah zum Fenster, bemerkte die Sonne, deren Strahlen den Raum nun erreicht hatten, sich langsam über den Boden tasteten und ihn in kürzester Zeit in einen stickig warmen Ofen verwandeln würden. »Und so etwas«, sagte er energisch, stand auf und ging zum Fenster, »mag erbaulich sein, ist aber mit dem schweren Duft, den es verströmt, der geistigen Gesundheit äußerst abträglich.« Mit diesen Worten griff er nach dem Holunder, warf ihn, Helenes empörten Ausruf ignorierend, durch das offene Fenster hinaus auf den Hof und zog die Vorhänge zu. Dann wandte er sich an Hufeland. »Ich bin entsetzt. Sie sollten wissen, wie schädlich es ist, wenn man sich tagsüber in Räumen aufhält, in denen man schläft. Die Betten geben nur allmählich die Ausdünstungen von sich, die sie des Nachts von den Schlafenden in sich aufgesogen haben, und sie verderben bei Tage die Luft des Zimmers, auch wenn es in der Früh durchlüftet worden ist. Wenn Sie wollen, dass ich Albert Steinhäuser helfen soll, dann geben Sie mir freie Hand.«
    Hufeland blickte hinüber zu der jungen Frau. Und nachdem diese zustimmend nickte, fuhr er fort. »Mir scheint, wir haben keine andere Wahl, und wenn Sie mir zusichern, das Folgende für sich zu behalten, dann werde ich Ihnen einige Erklärungen geben.«
    »Selbstverständlich. Sie haben mein Wort.«
    In kurzen Sätzen umriss der Professor die Situation. Er begann in seiner Studentenzeit, erzählte von dem Duell, bei dem Albert augenscheinlich tödlich getroffen zu Boden fiel. Davon, wie man ihn beerdigte und er dann stattdessen Ludwig Gerstel im Grab liegend fand. Von der Verbindung, die im Verborgenen medizinischen |347| Experimenten mit dem Blut junger Mädchen nachging und sich der Verschwiegenheit Eingeweihter mit Mordlust versicherte. Von deren Symbolen und den Vermutungen, die Helene hierzu angestellt hatte. Als er vom Tod seines Schwagers berichtete, war seine Stirn von tiefen Sorgenfalten durchfurcht. Er schluckte ein ums andere Mal, als er die Symptome der Krankheit beschrieb, die alle glauben ließen, er sei an deren Folgen verstorben, bevor Helene ihm von der Blutspur auf dem Laken berichtete. »Ich habe meine Familie umgehend nach Weimar geschickt, um sie vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren«, schloss er. »Albert hingegen, totgeglaubt, tauchte vor wenigen Tagen hier in Jena wieder auf und folgte seiner Schwester bis zur Wohnung.«
    Hahnemann klappte sein Notizbuch zu. »Langsam ergibt alles einen Sinn. Man

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