Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
mir die Dokumente zu Alberts Einlieferung anzusehen. Der Name des verordnenden Arztes war kein anderer als der des Jenaer Medizinprofessors Christian Gottfried Gruner. Das Papier, das seine Unterschrift trägt, habe ich bei mir, und ich habe mich bereits in einem Gespräch davon überzeugen können, dass diese Signatur vom Professor stammen könnte oder ihr zumindest ähnlich ist.«
»Also doch«, rief Hufeland aus. »Gruner ist der Kopf dieser Verbindung!«
»Aber was ergibt das für einen Sinn?«, warf Helene ein. »Johann sagte, er habe daran mitgewirkt, dass man die Orden verbot und alle Mitglieder aus der Stadt vertrieb.«
»Wir ergehen uns in Spekulationen.« Hahnemann hatte genug gehört. »Es bleibt uns nicht viel Zeit. Wenn wir nicht wollen, dass Albert den Rest seines Lebens in dieser elenden Kammer verbringt, dann müssen wir endlich für Klarheit sorgen. Ein für alle Mal!«
Als er schließlich mit Hufeland den Raum verließ, spürte Hahnemann, dass so etwas wie Kampfesstimmung aufkam.
|350| Noch einmal wird mir der werte Herr Professor Gruner nicht ausweichen können, dachte er, während er aufrecht und mit gestrafften Schultern ins Freie trat und sich nur wenig Sorgen über den Verlauf des bevorstehenden Gesprächs machte. Im Geiste hatte er seinen Widersacher bereits ohne jede Gnade seziert.
Die Sonne strahlte unerbittlich. Hufeland öffnete seinen Justaucorps, während er versuchte, zu Hahnemann aufzuschließen. Es würde ein langer Sommer werden, dachte er. Schon jetzt war die Hitze zu spüren, sie würde sich drückend auf die Stadt legen und die Gärten austrocknen. So wie damals, bevor das Unglück seinen Lauf nahm.
Kaum hatten sie das Tor des Kollegiengebäudes passiert, schlug die Turmuhr zehn. Ihre Schritte hallten durch das menschenleere Treppenhaus, als sie zum oberen Stock liefen, wo in einer halben Stunde Professor Gruners Vorlesung über die klinische Semiotik beginnen sollte.
Der kleine Saal war noch leer.
»Und nun?« Hufeland ging unruhig auf und ab.
Ein erster Student steckte den Kopf durch die Tür, doch als er Hahnemanns grimmiges Gesicht sah, verschwand er gleich wieder.
Endlich, das Warten war ihm endlos erschienen, stieß Gruner schwungvoll die Tür zum Saal auf und knallte einen Stapel Papiere auf den Katheder.
»Sieh an, der Doktor Hahnemann«, sagte er mit eisiger Stimme. »Ich meinte, wir hätten alle Fragen klären können?«
»Ich hätte eine weitere Begegnung mit Ihnen auch lieber vermieden, aber leider erlauben es die Umstände nicht.«
»Von welchen Umständen reden Sie?« Gruner zog seine Brauen düster zusammen. »Und warum haben Sie meinen jungen Kollegen mitgebracht?«
»Wir würden gern über Ihre Arbeit sprechen, die Sie außerhalb der Vorlesungen mit den Studenten verbindet«, sagte Hufeland mit ausgesuchter Höflichkeit. »Natürlich nur, wenn es Ihnen jetzt so kurz vor Beginn des Unterrichts möglich ist.«
|351| »Sehen Sie«, sagte Gruner an Hahnemann gerichtet, »das nennt man vorbildliche Erziehung. Man platzt nicht einfach dazwischen. Nur mit einer wohlerzogenen Ansprache werden Sie auch eine Antwort erwarten dürfen.«
»Für den Austausch von Artigkeiten fehlt uns die Zeit«, sagte Hahnemann schroff. »Oder wollen Sie, dass wir die Angelegenheit vor Ihren Studenten erörtern?« Er holte eine Taschenuhr hervor und klopfte auf das Glas. »In spätestens zehn Minuten sind wir wieder fort. Natürlich nur, wenn Sie das Gespräch nicht unnötig in die Länge ziehen wollen.«
»Sie wollen mich erpressen?«
»Nennen Sie es, wie Sie wollen. Wir bezwecken nur, die Wahrheit zu erfahren, und das kann Ihnen doch gewiss nicht so unangenehm sein, oder? Ansonsten müssten wir annehmen, Sie hätten etwas zu verbergen.«
»Verbergen?« Gruner warf die Hände in gespieltem Entsetzen in die Luft. »Gott bewahre, ich bin für meine Ehrlichkeit bekannt, das kann mein lieber Kollege hier bezeugen. Nicht war, Professor Hufeland?«
Die Frage überrumpelte ihn, wollte Gruner ihn auf seine Seite ziehen? Doch er würde sich diesen Schachzug selbst zunutze machen. So sagte er laut und mit ausgesuchter Liebenswürdigkeit: »Gewiss, mein lieber Gruner, das sagte ich dem Doktor bereits, doch er wollte mir nicht so recht glauben. Seien Sie so gut und überzeugen Sie ihn vom Gegenteil, so können wir diese unselige Angelegenheit rasch hinter uns bringen.«
Er stellte sich dem Professor an die Seite und ignorierte den empörten Blick, den Hahnemann ihm
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