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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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hinter ihm. »Und ich hatte schon gedacht, Sie würden sich auf seine Seite schlagen.«
    »Wo denken Sie hin. Ich würde mir eher auf die Zunge beißen, als es wagen, Ihren Zorn zu erregen«, antwortete er lächelnd.
    Sie durchquerten das mit Ranken verzierte Kreuzgratgewölbe, in dem die theologischen Schriften untergebracht waren, dabei zeigte Gruner mit großer Geste zu den Regalen.
    »In diesen Räumen befinden sich sämtliche Werke der Professoren dieser Universität seit dem Jahre 1548, zudem einige Handschriften Martin Luthers sowie die Handexemplare seiner Bibel. Seit einer Schenkung im Jahre 1763 kamen um die siebzehntausend Einzelschriften hinzu, sie befinden sich heute im Hörsaal der Theologischen Fakultät. Der Gesamtbestand aller Räume beläuft sich auf nahezu hunderttausend Bände.«
    Sie gelangten in das hintere Gewölbe, in dem sich die medizinischen und mathematischen Schriften befanden, und Gruner wandte sich zu einer schmalen eisenbeschlagenen Holztür auf der rechten Seite und schloss sie auf.
    »Wir befinden uns nun bei den Magazinräumen, zu denen üblicherweise nur die Professoren Zutritt haben«, sagte er an Hahnemann gewandt.
    Sie gingen weiter, an Regalen und Schränken vorbei, durch schmale Gänge und kleine Gewölbekeller. Irgendwann hatte Hufeland aufgehört, sich an dem Inhalt der Regale, an der Form der Fenster oder der Rippenzahl der Gewölbe zu orientieren. Hatte er anfangs noch die Räume erkannt, zu denen auch er regelmäßig Zutritt suchte, um sich auf seine Vorlesungen vorzubereiten, so sah er sich mittlerweile hoffnungslos verirrt. Nach unzähligen Windungen und Treppen blieben sie endlich vor einer niedrigen Tür im Dachgeschoss stehen, die mit einem zusätzlichen Vorhängeschloss gesichert war. Die kleine Kammer, die sie nun in gebückter Haltung betraten, war leer bis auf eine eisenbeschlagene Truhe, die seitlich der Schräge stand. Warmer Wind zog durch schmale Ritzen im Mauerwerk und durch Lücken in den Schieferplatten des Dachs.
    |355| »Wenn ich eines zutiefst verabscheue, dann sind es haltlose Spekulationen und Unwissenheit«, begann Gruner, und es klang beinahe, als habe ihn der anstrengende Marsch ein wenig besänftigt. »Daher werde ich Sie nun aufklären, bevor Sie Ihre Ungeheuerlichkeiten in der Welt verbreiten. Ich bitte Sie, über Folgendes zu schweigen, auch wenn ich nicht wirklich erwarte, dass Sie meiner Bitte Folge leisten werden. Aber sei’s drum. Wenn Sie den Mund nicht halten können, wird es sich in die unzähligen Versionen einer Geschichte reihen, die ohnehin niemand mehr ernstnehmen mag. Und ich sehe es Ihren Gesichtern an, dass Sie ahnen, von wem ich Ihnen nun erzählen werde.«
    »Von Johnssen?«
    »Ganz richtig. Ich werde Ihnen beweisen, dass es überhaupt nicht in meinem Interesse liegen kann, einen Mann im Irrenhaus zu quälen. Denn jene Dinge, die diese obskuren Menschen aus ihm herauszupressen versuchen, sind seit Jahrzehnten in meinem Besitz.« Er legte eine Pause ein und genoss ganz offensichtlich Hahnemanns Sprachlosigkeit. Dann hob er eine Braue und fiel wieder in seinen überheblichen Tonfall. »Friedrich von Johnssen trat ganz im Sinne des Hochstaplers Cagliostro auf, der beinahe zeitgleich ganz Europa mit seinen magischen Spielereien und angeblichen Wunderelixieren in den Bann schlug, selbst die Königshäuser. Johnssen besaß ein ähnlich ungeschliffenes Äußeres und vermochte dennoch so gelehrt zu sprechen, dass die Menschen ihm glaubten, wenn er versprach, sie mit Geistern in Kontakt zu bringen, oder wenn er vermeintliche alchemistische und optische Wunder vollbrachte. Im Gegensatz zu Cagliostro jedoch beschränkte er sich darauf, die deutsche Freimaurerei zu unterwandern und mit Hilfe ihrer Verbindungen zum reichsten und mächtigsten Mann des Landes aufzusteigen. Er gab sich als geheimer Ordensvisitator aus und nahm in kürzester Zeit die führenden Mitglieder der Jenaer Rosenloge für sich ein, die sich bis dahin den Tugenden der Ehrenhaftigkeit, Freundschaft, Moral und Bruderliebe verpflichtet fühlten. Sie alle sahen es als Ehre an, dass es die Jenaer Loge sein sollte, von der aus die Freimaurerorden des ganzen Landes erneuert und ihrer wahren Bestimmung zugeführt werden sollten.«
    |356| »Und die wäre?« Hufeland begann, sich mit der Hand Luft zuzufächeln. Je länger sie in dieser Kammer standen, desto größer schien ihm die Wärme. Die ersten Sonnenstrahlen begannen durch die Ritzen zu dringen, in ihrer Spur tanzte der

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