Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
noch immer verkennen? Ich habe mit den übelsten Behauptungen aufgeräumt, die sich wissenschaftlich nannten, und glaube nur an Theorien, die einer intensiven Erprobung standhalten. Sollte sich also erweisen, dass diese Rezeptur ein mächtiges Heilmittel hervorbringt, so werde ich sie mit Freuden anwenden.« Er hob den Finger. »Sie sollten sich vorsehen, alle unerklärlichen Dinge zu verdammen, ohne sie erprobt zu haben. Irgendwann einmal, vielleicht erst in tausend Jahren, wird die Wissenschaft sich so weit entwickelt haben, mit Hilfe von Apparaten all dies erklären zu können, was wir allein mit dem Verstand nicht begreifen.«
»Das sind die Worte, mit denen auch die größten Scharlatane ihre Erfindungen anpreisen! Oder glauben Sie etwa auch, dass sich die Zeugungskraft erhöht und die Lebenskraft erfrischt, wenn man im Grahamschen Bett schläft, das allerorts als neuestes Heilwunder gepriesen wird?«
»Dr. Graham ist ein Betrüger. Das ganze Geheimnis seines angeblich |361| wundertätigen Bettes liegt in der Erzeugung elektrischer Ströme und in starken sinnlichen Reizen, erschaffen von Düften und Klängen. Alles andere ist Augenwischerei. Sie sehen, ich weiß Scharlatanerie von Wissenschaft wohl zu unterscheiden.«
Er sah Hufeland streng an. Dieser hielt dem Blick stand und lächelte schließlich. »Sie gefallen mir«, sagte er. »Sie sind eine Bereicherung in der verstaubten Lehre der Medizin. Was schlagen Sie also vor?«
»Die Rezeptur kann warten. Die Sicherheit des Patienten steht an erster Stelle. Alberts Symptome haben mich auf eine Idee gebracht, und ich werde nach einer Substanz Ausschau halten, die mir für seinen Zustand geeignet scheint. Sobald er wieder bei Kräften ist, nehme ich ihn mit nach Georgenthal. Niemand wird ihn dort vermuten, und die reine Luft und Ruhe werden ihr Übriges zu seiner Genesung beitragen. Und wenn ich Ihre Sorgen richtig zu deuten verstehe, dann ist es Ihnen recht, wenn Helene Vogt mich begleitet?«
Hufeland nickte zögernd, schwankend zwischen Erleichterung und Unmut. Die Vorstellung, dass Helene weggehen, die Stadt verlassen würde, setzte ihm stärker zu, als er sich eingestehen wollte. Er musste mit ihr reden.
Den Vormittag hatte Helene bei Albert verbracht. Sie war in der Kammer auf und ab geschritten, hatte aus dem Fenster gesehen und sich dann wieder zu ihrem Bruder ans Bett gesetzt und seine Hand gehalten, während er zu fabulieren begann und die immer gleichen fremdartigen Reime aufsagte. Dabei zuckten seine Muskeln, einmal rief er voller Furcht nach dem Vater, bis er sich die Ohren zuhielt und einfach nur ins Leere starrte.
Irgendwann hatte sie angefangen, ihm wieder von Königsberg zu erzählen, von der frischen Brise, die vom Baltischen Meer kam, dem Geschmack von Salz auf der Zunge und dem Duft nach Fisch und Tang, der mit den Booten in den Hafen zog. Vom Nachleuchten des Tages in den Sanddünen des Haffs. Albert hatte versonnen gelauscht, den Mund zu einem Lächeln verzogen, dann waren Tränen über seine Wangen gelaufen, bis er endlich in tiefen Schlaf fiel.
|362| Bis zum Mittag hatte sich die Luft aufgeheizt, als sei es bereits August. Er hatte sich unruhig hin und her gewälzt, und sie meinte, ihn vom Meer reden zu hören und von mannshoher Brandung. Dann hatte er sich plötzlich mit weit geöffneten Augen aufgesetzt und sie um einen Becher Wasser gebeten, den er hastig leerte, bevor er wieder in die Kissen sank und die Augen schloss. In diesem Moment fasste sie einen Entschluss.
Als Hahnemann das Zimmer betrat und vom Gespräch mit Gruner erzählte, hörte sie nur mit halbem Ohr zu. Erst als er von einer Medizin sprach, die er an Albert zu erproben vorhatte, horchte sie auf.
»In der ganzen Stadt gab es keinen Agaricus Muscarius«, schimpfte er leise und holte einen ledernen Beutel hervor. »Ich habe mich durchfragen müssen, ein Kräuterweiblein, das außerhalb der Stadt wohnt, hat mir ihren Bestand teuer verkauft. Ich hätte lieber selbst gesammelt, um sicher zu sein, dass er rein ist, doch seine Zeit ist im Herbst.« Dabei schüttete er gelblich rote Fetzen auf den Tisch, verteilte sie mit spitzen Fingern und zog kleine grüne Stücke heraus, die er durch das geöffnete Fenster warf.
»Sie wollen ihm Fliegenpilz geben? Er verursacht Halluzinationen und ist in großer Menge gegeben giftig!«
»Wollen Sie mir erzählen, wie ich meine Arbeit zu machen habe?«, antwortete er unwirsch.
»Nein. Aber es würde mir sehr helfen, wenn Sie mir
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