Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
eine Pause. »Denn das ist sie doch noch, oder täusche ich mich?« Er lachte lauter, warf den Kopf in den Nacken.
»Helene«, hauchte Vogt. Es war schlimmer, als er erwartet hatte. Als er sie gestern mit Christoph gesehen hatte, hatte es ihm das Herz zerrissen, und es hätte ihm Genugtuung sein sollen, dass sie nun dasselbe mit ihr vorhatten. Aber alles, was er verspürte, war eine unbändige Wut, die sich gegen die beginnenden Halluzinationen stemmte. Mit einem einzigen Satz stürzte er auf den Dämon zu und riss ihm die Maske herunter, starrte in das fassungslose Gesicht. |397| Es war Dürrbaum! Wie hatte das Gewand nur darüber hinwegtäuschen können, dass die riesenhafte Statur zu einem derart schmalen Körper gehörte. Vogt ballte die Hände zu Fäusten. Nicht Helene!
»Sie haben nichts in der Hand«, rief Hahnemann hinter Hufeland her, als er sich anschickte, über die Mauer hinter der Schlossgasse zu klettern, wo ein schmaler Steg über den Stadtgraben führte. Das Stadttor war längst verschlossen. »So nehmen Sie doch Vernunft an. Was Sie vorhaben, kann Helene nur schaden und Ihnen auch.«
Hufeland spürte, wie der Verband um seine Schulter nachgab und die Naht seiner Stichwunde aufriss. Er biss die Zähne aufeinander, zog ein Bein nach, hangelte sich bis zum Mauerabschluss und sprang dann am anderen Ende hinab auf den Steg. »Geben Sie mir die Fackel.«
»Ich habe ein ungutes Gefühl«, rief Hahnemann von der anderen Seite der Mauer. »Wir sollten die Stadtwache benachrichtigen. Was, wenn es nur darum geht, Sie in eine Falle zu locken und auszulöschen, nachdem Vogt hierin versagt hat?«
»Das gilt es herauszufinden. Geben Sie mir endlich die Fackel!«
»Sie sind ein Narr«, brummte der Doktor, dann aber schob er die Fackel herüber. Die Funken flogen, als sie zu Boden fiel, rasch hob Hufeland sie auf und trat auf das glimmende Holz, bis es verlosch.
Noch während er im Licht des vollen Mondes über den Steg balancierte, hörte er Hahnemann rufen. »Ich werde jetzt die Stadtwache informieren. Ob Sie es wollen oder nicht.«
»Tun Sie, was Sie für richtig halten«, sagte Hufeland leise und lief los. Bei jedem Schritt dachte er ihren Namen.
Helene, Helene, Helene.
Er wünschte, er könne sie vor ihrem Schicksal bewahren, all das ungeschehen machen, was sie in diesem Moment durchleben musste. Sollte sie sterben, würde er es sich niemals verzeihen. Doch sie wollten, dass er kam und das Ersehnte brachte, die Rezeptur. Und solange sie es nicht hatten und der Mond noch nicht wechselte, gab es einen Funken Hoffnung. In aller Eile hatten er und Hahnemann |398| ein Dokument gefertigt, auf dem nun die Worte standen, die dieser sich in der Schlossbibliothek notiert hatte, und er betete, es würde genügen, um es gegen Helene auszutauschen. Die Turmuhr schlug viertel vor zwölf. Die Zeit rückte erbarmungslos voran.
Lange bevor er die Saalbrücke erreicht hatte, roch er das Feuer. Eine helle Rauchsäule zog sich über das alte Rittergut. Im nahen Gasthaus
Zur Tanne
wurde ein Licht entzündet. Ein Mann im Schlafrock lief hinaus und sah zu den Flammen, die nun in den Nachthimmel stiegen. »Feueeeer!« Sein Ruf hallte durch die Dunkelheit. Fenster wurden aufgestoßen.
»Helene!« Hufeland erhöhte sein Tempo. Am Ufer der Saale sah er einen Mann hocken, in dunklem Gewand, vor etwas Hellem kniend. Als dieser ihn kommen sah, sprang er auf und rannte davon in Richtung der Flammen. Hufeland stolperte keuchend voran.
Inzwischen waren weitere Menschen aus dem Gasthaus gekommen. Einer hatte einen Bottich in der Hand und eilte zum Fluss, während ein weiterer laut jammernd umherlief, andere schrien, ohne sich zu rühren.
Endlich hatte Hufeland das andere Ende der Brücke erreicht und lief in Richtung des Feuers, dem Mann im dunklen Gewand folgend. Die raschen Bewegungen, die schlanke Gestalt kamen ihm bekannt vor.
»Johann!«, rief er hustend.
Die Flammen schlugen höher, sie kamen aus dem Trakt, in dem die Verbindung ihr Unwesen trieb, und erreichten nun die Tannen, die den schmalen Pfad umsäumten.
Hufeland kam nicht weit. Während die Gestalt weiter in Richtung des brennenden Gebäudes eilte, zwang der Rauch ihn zum Stehen. Nach Atem ringend sank er auf die Knie und begann zu weinen.
Männer kamen angelaufen, trugen Wasser in kleinen Gefäßen, es war sinnlos, gegen die Feuer der Hölle anzugehen. Der Wind trieb die Glut den Berg hinauf, der hinter dem Rittergut anstieg. Sie würde sich in Bäume fressen
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