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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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und Sträucher, sich einen Weg zu dem |399| Wald bahnen, in dem Helene und er beieinandergelegen hatten und von einer gemeinsamen Zukunft träumten.
    Jemand rüttelte an seiner Schulter. »Kommen Sie rasch. Oder wollen Sie, dass noch ein Unglück geschieht?«
    Er ließ sich führen, ohne Widerstand, folgte den Männern zum Ufer der Saale, wo sie zu einem Gott flehten, der ihn längst verlassen hatte.
    Plötzlich sah er sie. Ein zusammengerollter Körper am Kiesstrand, nackt. Helene. Er lief auf sie zu. Bedeckte ihren Körper mit seiner Jacke. Sie hielt die Augen geschlossen, ihre Haut war kalt, sah im fahlen Mondlicht aus wie Stein.
    Weinend strich er über die Wange, forschte nach einem Zeichen des Lebens, nahm sie in seine Arme und wiegte sie wie ein Kind. Endlich, als er bereits glaubte, sie würde ihm vom Herrn fortgerissen, atmete sie mit einem tiefen Seufzer und schlug die Augen auf. In ihnen lagen Wärme und Zuneigung. Einen kurzen Moment sahen sie einander an, dann verlor sie wieder die Besinnung.

|400| 14
JENA
15. MAI 1793
    Als Helene am nächsten Morgen erwachte, fiel dunstiges Licht durch einen Spalt zwischen den Vorhängen. In der Nacht hatte es geregnet, kleine Tropfen klebten am Fenster und zogen ihre Spuren hinab.
    Sie war kaum aufgestanden, da klopfte es an der Tür und eine der Mägde brachte Essen, eine Schale Hafersuppe und einen kleinen Brotlaib und Honig.
    »Der Professor hat darauf bestanden, dass Sie etwas zu sich nehmen«, sagte sie und stellte die Speisen ab.
    Helene wollte gerade antworten, als Juliane das Zimmer betrat. Ihr Gesicht war blass, die Augen gerötet. Die Magd sah erschrocken von einer zur anderen, murmelte, sie müsse nun in der Küche helfen, und eilte aus dem Raum.
    »Wie ich sehe, werden Sie gut versorgt?«, fragte Juliane. Sie sagte es nicht schnippisch, aber die Missgunst war nicht zu überhören. »Christoph hat gesagt, er würde mich verlassen, weil er Sie liebt. Glauben Sie mir, es hat mich überrascht. Nein, das ist gelinde ausgedrückt, es ist mehr als das. Bevor Sie kamen, waren wir eine glückliche Familie. Sie haben mein Leben zerstört!«
    Helene war sprachlos, schwankte zwischen Wut und Betroffenheit. Als sie endlich zu sprechen begann, klang ihre Stimme rau: »Was wollen Sie von mir?«
    »Sie sind ein hübsches Ding, und ich kann verstehen, dass Sie sein Herz zum Glühen bringen. Ich werde Sie wohl nicht bitten können, ihn zu verlassen. Aber ich möchte, dass Sie verstehen, dass Sie meinen Kindern ihren Vater nehmen. Eduard und Wilhelmine sind noch klein, sie würden es nicht begreifen. Und da gibt es noch |401| etwas, das Sie erfahren sollten.« Julianes Lippen zitterten. »Ich erwarte ein Kind von ihm.«
    Unwillkürlich sah Helene auf den kleinen Bauch, der unter dem Kleid bereits vage zu erkennen war. Es war, als habe man ihr eine schallende Ohrfeige gegeben.
    »Ich möchte, dass Sie mich jetzt allein lassen«, sagte sie heiser.
    »Gewiss. Ich habe Ihnen alles gesagt.« Auf Julianes Gesicht lag ein Lächeln. Sie straffte ihre Schultern und ging erhobenen Hauptes hinaus.
     
    Hufeland stand im Foyer und sprach mit einem Bediensteten, als Helene die Treppe herunterkam. Er sah auf und ging ihr entgegen. Auf seiner Stirn war noch Ruß zu sehen. Er blieb vor ihr stehen und hob die Hände, als wolle er sie in seine Arme ziehen, ließ sie aber sogleich wieder sinken.
    »Ich habe dich nicht wecken wollen. Wie geht es dir?«
    Sie dachte an die vergangene Nacht. Der Rauch der Kräuter hatte ihr Bewusstsein getrübt, alles, woran sie sich erinnern konnte, war das Entsetzen, das den eintönigen Gesang mit plötzlicher Wucht durchdrang, und die Schreie, die erst nach und nach verstummten, bis Johanns Gesicht über ihr erschienen war und er ihre Fesseln mit der blutgetränkten Schneide eines altertümlichen, reich verzierten Degens durchschnitt. Dann die Hitze, überall Qualm, Flammen. Am Boden liegende Körper. Blut.
    »Ich hoffe, irgendwann einmal werde ich es vergessen können«, antwortete sie mühsam gefasst. »Wie geht es Johann?«
    »Ich weiß es nicht.« Hufeland nahm ihre Hand und drückte sie sanft. »Er hat dein Leben gerettet. Ich bin ihm zum Rittergut gefolgt, weil ich dachte, du wärst noch im Gemäuer. Und dann ist er …« Er stockte. »Johann ist einfach weitergelaufen. Das Feuer hat das Rittergut beinahe vollständig zerstört, doch wie ein Wunder ist der Gasthof
Zur Tanne
unversehrt geblieben. Die Flammen haben sich in den Wald gefressen, bis endlich

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