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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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schlafen. Seitdem er vor Jahren ein Büchlein gegen das Scharlachfieber herausgebracht hatte, dem die Tollkirsche in allerkleinster Verreibung beigelegt war, hatte ein wahres Kesseltreiben begonnen, in das sich neben Ärzten auch Apotheker und Chemiker eingemischt hatten.
    Giftmischer hatten ihn die einen genannt, Scharlatan die anderen. Sie ereiferten sich in Wort- und Sinnverdrehungen, nun schrien die Ersten, das Mittel würde nicht helfen, obwohl sie es nicht gegen Scharlach, sondern gegen das rote Frieselfieber gegeben hatten, das dem Scharlachfieber unähnlich war. Ach, sie konnten die einfachsten Grundsätze nicht begreifen, und er war die Schmähungen und Zweifel leid.
    Selbst sein ältester Freund, der Hofrat Becker, in dessen
Gothaer Reichsanzeiger
er für sein neues Geheimmittel werben durfte, hatte sich gegen ihn gewandt, was ihn äußerst verletzte, war ihre Beziehung doch immer von Herzlichkeit und Respekt geprägt gewesen.
    »Siehe da!«,
hatte Hahnemann ihm sogleich geschrieben.
»Der in der Freundschaft unerkaltlich warme Becker wird warm am Haupte und kalt am Herzen gegen einen der rechtschaffensten Männer, gegen mich! Was wollen Sie sich schämen, eine so gerechte Absicht befördert zu haben? Dass meine Erfindung noch nicht allgemein anerkannt ist,
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fällt gar nicht auf Sie zurück. Auf mich allein, dessen Lebenstätigkeit in ein Zeitalter fiel, wo die Ärzte so neidisch, so vorlaut, so allweise und aufgeblasen von ihrer gebrechlichen Schulweisheit sind, dass ihnen alles Neue, nicht von ihnen Herrührende unerträglich wird und ihre pöbelhafte Galle reizt.«
    Der Streit mit Becker war inzwischen beigelegt, doch ein Stachel blieb. Einzig Hufeland, der inzwischen als einer der größten Ärzte des Landes galt, hatte zu ihm gehalten. Er war ein wahrer Freund.
    Hahnemann zog den Morgenrock über, ging die knarrende Stiege hinab; er würde ohnehin nicht mehr schlafen können. Also konnte er genauso gut den Artikel fertigschreiben, in dem er noch einmal auf die genaueste Befolgung des Ähnlichkeitsgesetzes hinweisen und seine Gegner aufs Schärfste zurechtweisen wollte.
    Er hatte gedacht, alles würde sich ändern, nun, da er den Gral in Händen hielt, den Stein der Weisen. Er hatte nicht mit den Zweiflern gerechnet, die jedes Gran seiner Mittel untersuchten und sich darüber lautstark erregten, keinen Wirkstoff gefunden zu haben.
    Hahnemann stellte die Lampe auf seinen Schreibtisch, rieb sich die eiskalten Hände, bis sie sich endlich erwärmten, und öffnete das Glas der Stutzuhr, um sie aufzuziehen. Der große Zeiger stand auf drei. Es war eine mondlose Nacht, über den Straßen lag dichter Nebel.
    Mit Wehmut dachte Hahnemann an den Moment zurück, als er die Rezeptur entschlüsselt hatte, damals in Königslutter, im Jahre 1798. Es war eine mondlose, neblige Nacht gewesen wie diese. Und sie war ebenso kalt.
    Er hatte seine Hände auf dieselbe Weise aneinandergerieben und sich soeben an den Arbeitstisch setzen wollen, als sein Blick auf den Stapel mit den Exemplaren des
Gothaer Anzeigers
gefallen war, in dem er einst den Bericht zur Heilung des Geheimen Kanzleisekretärs Klockenbring veröffentlicht hatte. Er hatte das Journal zur Hand genommen und an die Zeit gedacht, als er die Kraft seiner neuen Heilmethode an einem weiteren Wahnsinnigen hatte ausprobieren können: an Albert Steinhäuser. Dieser hatte sich rasch auf dem Weg der Besserung befunden, nachdem Hahnemann ihm ein neues, der Krankheit ähnlicheres Mittel verabreicht und |409| ihn in frischer Luft und unter Verwendung kalter Bäder hatte abhärten können. Er war deshalb nur wenige Wochen später mit seiner Schwester nach Königsberg abgereist.
    Versonnen hatte er durch die Seiten geblättert, als ihm ein Papier entgegengefallen war, dicht beschrieben. Es waren seine Notizen zur Rezeptur, die er in der Büttnerschen Bibliothek gemacht hatte.
    Er hatte Wochen damit zugebracht, die Worte zu entschlüsseln, nur um irgendwann einsehen zu müssen, dass ihm der wahre Sinn hinter der symbolhaften Sprache verborgen bleiben würde. Die sieben Stufen hingegen, die die Rezeptur beschrieb, waren ihm geläufig, es war ein alchemistischer Weg, aus Weinstein eine äußerst heilkräftig wirkende Tinktur zu transformieren. Doch das allein war nicht genug, um als Lebenselixier zu gelten, und so hatte er die niedergeschriebenen Worte als mystischen Firlefanz abgetan, wie so vieles andere, das in jenen Tagen kursierte.
    Es hatte ihn geärgert. So viel

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