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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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ich, und es war so simpel, dass ich es beinahe übersehen hätte.«
    »Erzählen Sie schon.«
    »Es ist der Faden der Ariadne, der durch das verborgene Dickicht der Natur leiten sollte. Dieser Faden ist wörtlich gemeint.
Ariadne filum
, verstehen Sie?«
    »Nein!«
    »Ich begann, nach einem Buch zu suchen, das diesen Faden zum Inhalt hatte. Der Bibliothekar verwies mich schließlich auf die Büttnerschen Räume im Schloss, und da der Besitzer dieser gewaltigen, mehr als dreißigtausend Bände umfassenden Sammlung nicht zugegen war, ließ mich Dürrbaum ein, der Aufseher des Naturalienkabinetts, das sich im zweiten Stockwerk des Schlosses befindet.«
    »Er hat Ihnen bei der Suche helfen können?«
    »Nein, nein«, sagte Hahnemann, »ich sah mich der Lösung so nahe. Sollte ich meine Erkenntnisse mit einem mir Fremden teilen, indem ich ihn um Hilfe ersuche?«
    »Nein, gewiss nicht.«
    »Sehen Sie? Ich habe ihn gebeten, mich allein zu lassen, und er ist meiner Bitte nachgekommen, wenngleich er zögerte«, fuhr Hahnemann fort. »Um es kurz zu machen: Wenn ich mich in einem auskenne, dann in Ordnungssystemen, die ein wissenschaftlich denkender Kopf erdacht hat, was hier der Fall war. Bald erschloss sich |393| mir die Aufstellung der Bücher, und ich fand eine alte Schrift, in der der Faden der Ariadne nicht Inhalt, sondern Titel war.« Er zeigte auf das Blatt, das Hufeland noch immer in den Händen hielt. »Ich habe mir Notizen gemacht. Und je mehr ich schrieb, desto klarer hatte ich die Wahrheit vor Augen: Die geheimnisvolle Rezeptur, die Johnssen zum glorreichen Symbol seiner Macht erkor, mag das Wissen alter Hochkulturen erhalten und einen Weg weisen, das göttliche Licht mit der irdischen Materie zu vereinen, um eine Arznei von unermesslicher Kraft zu erschaffen. Doch sie ist nichts weiter als eine Abschrift aus ebenjenem alten Buch, das ich in der Tiefe der Sammlung fand, und ich frage mich, ob so etwas Teil eines seit Templergenerationen überlieferten Geheimnisses sei kann.«
    »Haben Sie es bei sich?«
    »Nein, das erschien mir zu riskant.« Hahnemann schüttelte bedauernd den Kopf. »Diese Schrift beschreibt die sieben Phasen der Transformation, die den Umwandlungsprozessen der Alchemie ähneln. Aber hier soll sich die Materie durch magnetisch wirkende Kräfte verändern und in ein höheres Energiefeld wechseln, um damit den göttlichen Funken, der uns allen innewohnt, zu entzünden. Doch viele Begriffe sind chiffriert. Es wird einige Zeit dauern, das Dokument und seine tiefere Bedeutung zu entschlüsseln, wobei ich mir noch nicht sicher bin, ob es mir jemals gelingen wird.«
    »Es ist mir ein Rätsel, woher die Verbindung weiß, dass jemand in diesem Haus die Rezeptur gefunden hat. Denn entweder glauben sie, Albert habe uns von diesen Dingen erzählt, oder sie haben von Ihrer Entdeckung erfahren. In diesem Fall aber gibt es nur drei Menschen, die dieses zumindest erahnen können: den Bibliothekar, Dürrbaum und Caspar.« Hufeland fuhr sich mit unruhigen Fingern durchs Haar und sah aus dem Fenster. Am Himmel stand der volle Mond und strahlte auf den Saum der Wolken. »Diese Verbrecher werden sich mit Ihren Informationen bescheiden müssen«, sagte er düster. »Rasch, sonst kommen wir zu spät!«
     
    In seine Gedanken hatte sich etwas eingeschlichen, das er nicht mehr loszuwerden vermochte. Eine Erkenntnis, die sich festbiss |394| wie ein schlechter Traum. Er hatte der Wahrheit ins Auge geblickt. Einer Wahrheit, die er über Jahre unter Überheblichkeit und dem Durst nach Macht und Einfluss begraben hatte und die nun mit einem Gefühl an die Oberfläche brach, das er in dieser Ausprägung noch nicht kannte: Schuld.
    Er hatte gedacht, es ginge um Größeres, um die Revolution der Medizin. Der Superior hatte ihnen ein Leben in Ruhm und Reichtum versprochen. Aber er hatte feststellen müssen, dass er die ganze Zeit hinter einer Vision hergeeilt war, die nicht für ihn bestimmt war.
    Vogt stieg die Treppe hinab ins Gewölbe, wo die lodernden Flammen zweier Fackeln den Superior einrahmten, als umarmten sie den Fürsten der Finsternis. Sein gewaltiger Schatten tanzte an der Wand. Er hatte sich in ein festliches Gewand gehüllt, einen weißen Habit mit rotem Kreuz über schwarzem Untergewand, was ihn noch gewaltiger wirken ließ, als er ohnehin schon war. Sein Gesicht war hinter der Maske verborgen. Noch einmal kniete Vogt nieder, machte das Ritterzeichen und küsste den reich verzierten Degenknopf; es würde gewiss

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