Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
Vorstellung, ihr könne etwas zugestoßen sein, wühlte ihn auf.
»Haben Sie sie gefunden?« Hahnemann kam die Treppe herunter, auch er sah besorgt aus.
»Nein«, flüsterte Hufeland rau. Plötzlich sah er Caspar über den Platz kommen, und er lief ihm entgegen. »Hast du Helene gesehen?«, fragte er ihn und entsann sich in diesem Augenblick, dass der Knecht seit dem frühen Morgen verschwunden gewesen war. »Wo bist du gewesen?«
»Ich bitte um Vergebung«, rief dieser klagend und rang die Hände. Er zitterte am ganzen Leib. »Man hat mich bei einem Gang an die frische Luft abgefangen, um mich als Botschafter zu verwenden.«
»Als Botschafter?« Hufeland erstarrte. Sein Herz tat einen Sprung.
Caspar nickte und senkte die Stimme. »Ich überbringe eine Nachricht der Hölle.«
»Los, sag schon!« Hufeland packte ihn bei den Schultern. »Wo ist Helene?«
»Sie sagten, Sie wüssten, wohin man die junge Frau gebracht hat. Sie wollen die Rezeptur.«
»Die Rezeptur? Woher zum Teufel soll ich wissen, wo sie sich befindet?« Er schüttelte den Knecht, bis der laut zu jammern begann. »Caspar, du weißt selbst, dass es unmöglich ist. Der Einzige, der weiß, wo sich die Rezeptur befindet, ist darüber wahnsinnig geworden!«
»Sie haben gesagt, es gibt jemanden in diesem Haus, der mehr dazu weiß«, beharrte Caspar. »Aber sie wollen, dass Sie das Dokument bringen, allein. Wenn bis Mitternacht, noch vor dem Mondwechsel, nichts dergleichen geschehen ist oder Sie sich der Unterstützung der Polizeikommandantur versichern, dann … dann …«
»Was passiert dann? Verdammt noch mal, rede endlich!«
»… dann wird es ein letztes Ritual geben, das niemand verhindern kann.« Er schluchzte laut auf. »Professor Hufeland, bitte, lassen Sie mich los. Ich kann Ihnen nicht mehr sagen, das ist alles, was ich weiß!«
|391| Hufeland stieß den Knecht von sich, heftig atmend. Ein letztes Ritual? Was hatte das zu bedeuten? Helene! Sein Herz geriet in Aufruhr. Er hastete die Treppe hinauf, zwei Stufen gleichzeitig nehmend, gefolgt von Hahnemann.
»Wo wollen Sie denn hin?«
Er antwortete nicht, stürzte in Alberts Zimmer, der am offenen Fenster saß und hinaus in die Dämmerung starrte. Hufeland hockte sich vor ihn.
»Albert«, flüsterte er, »Wir brauchen deine Hilfe. Wo ist die Rezeptur?«
Albert starrte Hufeland mit aufgerissenen Augen an und schüttelte heftig den Kopf.
»Hören Sie auf«, sagte Hahnemann hinter ihm. »Sie dürfen ihn in diesem Zustand nicht erschrecken!«
»Aber es geht doch um Helene! Herrgott, wollen Sie, dass ihr etwas zustößt?«
»Nein!« Hahnemann legte beschwichtigend die Hand auf Hufelands Schulter. »Aber wenn Sie ihn bedrängen, dann wird er sich in seine Welt zurückziehen. Es gibt einen anderen Weg. Kommen Sie. Wir gehen ins Arbeitszimmer.«
Dort reichte Hahnemann ihm ein eng beschriebenes Blatt.
»Die Multiplikationen bergen einen Schatz und eine Macht, die ins Unermessliche steigt«
, las Hufeland laut.
»Der Geist erreicht den Höhepunkt der Stärke, wenn er sich vervielfacht und mit den lebendigen Körpern vereinigt.«
Er hielt inne und ließ das Blatt sinken. »Was ist das?«
»Ich fand es in einer Schrift der Büttnerschen Bibliothek. Als Albert gestern wieder zu rezitieren begann, seine Sprüche immer lauter wiederholte, wurde mir klar, dass sie eine Bedeutung haben mussten. Ich erkannte in seinen Worten einen Text des Jesuiten Kircher, eines Eingeweihten, der das Vertrauen des Papstes besaß. Also bin ich noch einmal in die Bibliothek der Universität zurückgekehrt, in der Hoffnung, das Buch dort zu finden, und so war es dann auch. Ich habe Alberts Text entdeckt und wieder und wieder gelesen.
Die Kunst der Analogie ist ein wunderbares Kompendium,
|392|
das den Philosophen wie ein Ariadnefaden leitet, ohne Gefahr, dass er sich jemals im verborgenen Dickicht der Natur verlieren könnte, denn es erklärt den Zusammenhang der Dinge in Himmel und Erde.
«
»Was hat das zu bedeuten?«
»Das habe ich mich auch gefragt. Doch dann fing ich an zu begreifen. Es geht nicht um den Text. Alberts Geist befindet sich in einer Welt der Bilder, nicht der Worte. Sie dürfen nicht vergessen, dass auch er ein Eingeweihter war, der die Sprache der Symbole zu deuten verstand. Es ist die Kunst der Analogie, die man auf diesen Text anzuwenden hat. Ich meinte schon zu verzweifeln, weil ich es auf die Analogie von Himmel und Erde bezog und mich im Astrologischen nicht auskenne. Doch dann verstand
Weitere Kostenlose Bücher