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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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Zeit war vergeudet worden, so viel Leid war entstanden, weil sie alle sich von der Rezeptur die allheilende Arznei versprochen hatten: Johnssens Anhänger, Alberts Vater und dann Dürrbaum, von dem er es am allerwenigsten erwartet hatte, Gott sei seiner Seele gnädig. Und dann, ganz plötzlich, war ihm eine Erkenntnis gekommen, die alles verändert hatte.
    Hahnemann schloss die Augen und war im Geiste wieder im Jahre 1798. Der Schlüssel zur Rezeptur zeigte sich in jenem Moment, als er das Blatt näher ans Licht hielt, um den Text noch einmal zu betrachten:
    »Die Multiplikationen bergen einen Schatz und eine Macht, die ins Unermessliche steigt«,
las er leise.
»Der Geist erreicht den Höhepunkt der Stärke, wenn er sich vervielfacht und mit den lebendigen Körpern vereinigt.«
Er hielt inne, überflog die Zeilen, bis ihm ein weiterer Satz ins Auge sprang:
»Das arkanische Salz muss durch die sieben Phasen der Transformation: Kalzination, Sublimation, Solution, Zirkulation, Destillation, Koagulation und Projektion, wird so zum Spiritus Vini philosophicum. Doch erst wenn sich die Materie durch magnetisch wirkende Kräfte verändert und in ein höheres Energiefeld wechselt, kann es den göttlichen Funken, der uns allen innewohnt, entzünden.«
    |410| Hahnemann sah auf seine Hände, die durch die Reibung warm geworden waren, und schnappte nach Luft. Wie hatte er es all die Jahre übersehen können? Er sprang auf, nahm das Licht und lief in den Raum, in dem sein Laboratorium lag. Sollte es so einfach sein?
    Hatte er immer gedacht, die Rezeptur sei etwas Eigenes, so erkannte er mit einem Male, dass sie Teil seiner Heilkunst war. Und dass sie deren Wirkung ins Unermessliche steigern konnte.
    Noch einmal rieb er die Hände aneinander und spürte dem Prickeln nach. Allein durch die Reibung konnte man fühlen, wie sich ein Kraftfeld auflud. Das war nichts Neues, schon seit Beginn des Studiums hatte er mit der Heilkraft des tierischen Magnetismus experimentiert und trotz aller Anfeindungen damit gute Ergebnisse erzielen können.
    Sein Gesicht glühte vor Aufregung. Er musste die Materie in Bewegung bringen, damit sie sich aneinanderrieb und magnetisch aufladen konnte! Und das konnte nur mit Hilfe einer Trägersubstanz gelingen, der alchemistisch zubereiteten Weinsteintinktur.
    Die
Prima Materia
aber, der reine Ausgangsstoff, nach dem alle Alchemisten suchten, war nicht das Blut oder der Morgentau oder ein geheimnisvolles Elixier, es war Gottes Natur. Seine Pflanzen, seine Mineralien. Was könnte reiner sein, in seiner Ursubstanz unnachahmlicher?
    Im Regal an der Stirnseite standen beschriftete Fläschchen und Gefäße, es mochten Hunderte sein. Hahnemann griff wahllos hinein, erwischte die Tinktur des Aconitum Napellus, des Sturmhuts, eines der giftigsten Mittel, das er nur in allergrößter Verdünnung anwandte. Weiter oben stand ein Tiegel mit Weinstein, und er hob ihn herunter. Beinahe wäre er ihm aus der Hand geglitten. Das Salz, von dem die Alchemisten glaubten, dass es das geheime Licht einschloss, es war das Salz des destillierten Weinsteins. Er begann, die Kristalle im Mörser zu zerstoßen, so lange, bis sie zu groben Körnern geworden waren.
    Hahnemann gab einige Körner in einen Glaskolben und begann mit der
Kalzination
, dem Erhitzen, dazu entfachte er das Feuer und legte den Kolben hinein. Die
Sublimation
erfolgte augenblicklich, |411| als ein Teil verdampfte und zu einer trüben Flüssigkeit kondensierte, der
Solution
. Mit Hilfe zugefächerter Luft erreichte er eine
Zirkulation
, die Essenz erkaltete, im Kolben schwamm spirituoses Wasser, mit stinkendem Öl und einem pechschwarzen Film. Nun kam die
Destillation
, das Ergebnis war eine trübe, gelbgrüne Flüssigkeit, dann die
Koagulation
, bei der er das gewonnene Substrat filterte. Die
Projektion
erreichte er durch reinen Weingeist, den er durch den Kolben spülte, bis sich das Substrat darin löste.
    Er goss ein wenig der Flüssigkeit in eine kleine Phiole, tat die Tinktur des Sturmhuts dazu und verkorkte das Ganze fest. Dann begann er zu schütteln. Drehte die Phiole mal rasch um die eigene Achse, mal versuchte er sich in einer Art Klopfen, wobei er das Gefühl hatte, dass diese Bewegung mehr Kraft entwickelte.
    Der Geist erreicht den Höhepunkt der Stärke, wenn er sich vervielfacht und mit den lebendigen Körpern vereinigt,
hatte es in der Rezeptur geheißen.
    Hahnemann fühlte, dass er auf dem richtigen Weg war. Es waren die Gesetze der Analogie. Hatte

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