Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
Alkohol benutzt, um den Schmerz zu betäuben, den er verspürte, seit ihn eine Ahnung beschlichen hatte: Juliane war wieder schwanger und sie wollte es ihm verschweigen. |414| Es war der 18. Oktober, als man Hufeland um sechs Uhr früh aus dem Schlaf riss. Königin Luise sei noch in der Nacht vom Ort der Schlacht zurückgekehrt, hatte der Bote ihm gesagt, und sie wünsche, ihn zu sprechen. Rasch erfrischte er sich, indem er sich kühles Wasser ins Gesicht spritzte, und zog sich an. Er war in größter Sorge, als er die Linden entlang zum königlichen Schloss lief.
Auf dem Weg dorthin fiel ihm eine Menschentraube auf, die sich dicht vor einer Mauer drängte. Männer wie Frauen blickten schockiert, einige schrien auf, manche liefen kopflos von dannen, schreckensbleich und mit Tränen in den Augen.
»Wir müssen die Fenster verrammeln«, rief einer.
»Rasch, wir brauchen Vorräte an Brot und Fleisch.«
»Alles ist verloren!«
Hufeland drängte durch die Menge nach vorn. Endlich stand er vor dem Anschlag, auf dem in großen Buchstaben geschrieben stand:
Der König hat eine Bataille verloren. Jetzt ist Ruhe die erste Bürgerpflicht. Ich fordere die Einwohner Berlins dazu auf. Der König und seine Brüder leben!
Graf von der Schulenburg
Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Immer mehr Menschen kamen auf die Straßen, Kutschen fuhren schwer beladen in Richtung der Stadttore. Auf dem Platz vor dem Stadtpalais drängte sich das Volk.
Als Hufeland schließlich die Gemächer der Königin betrat, kam sie ihm entgegen, mit verweinten Augen und aufgelösten Haaren und in tiefer Verzweiflung. »Alles ist verloren. Ich muss mit meinen Kindern fliehen, und Sie werden uns begleiten.«
»Und die Nachricht vom errungenen Sieg?«
»Nichts davon ist wahr. Die Franzosen kamen im Nebel des frühen Morgen und eröffneten unerwartet das Feuer auf unsere Truppen. Ich verließ sofort das Hauptquartier und musste zusehen, wie mein geliebter Mann in die Schlacht zog, die das Schicksal des |415| Landes und unseres Volks entscheiden sollte.« Sie schluchzte leise. »Man hat mir berichtet, die Kanonendonner gingen ohne Unterbrechung bis in die Mittagsstunden. In der Nacht sah man dann aus den unterschiedlichsten Richtungen das Rot der Feuersbrünste am Himmel. Sie haben die Dörfer geplündert und angezündet, alles ist zerstört. Nun sind Napoleons Truppen auf dem Weg nach Berlin.«
»Das ist grauenvoll!«, rief Hufeland betroffen aus. »Wo ist der König?«
Die Antwort kam zögernd. »Ich weiß es nicht. Aber er lebt.« Königin Luise atmete tief durch und tupfte mit einem Tuch die Tränen ab. »Bei allem Schmerz, wir wollen uns nun zusammennehmen und Stärke beweisen. Rasch, veranlassen Sie alles Notwendige. In drei Stunden fahren wir in Richtung Stettin. Gott beschütze unser Vaterland!«
In größter Hast eilte Hufeland nach Hause und begann, das Nötigste zusammenzusuchen, bemüht, die Familie nicht gleich zu wecken. Er packte alles in große Koffer, ordnete die Krankenakten und wollte gerade hinaus, um sie dem wartenden Kollegen zu übergeben, als Juliane schlaftrunken im Türrahmen des Arbeitszimmers erschien. Sie gähnte, dabei rutsche das Nachthemd über die linke Schulter und offenbarte ihre zarte Haut. »Was ist passiert, Christoph?«
»Napoleons Truppen rücken nach Berlin vor. Die Königin muss fliehen, und ich werde sie begleiten.«
Juliane riss die Augen weit auf. »Du bist Leibarzt, kein Soldat. Willst du uns zurücklassen, während die Franzosen einfallen?«
»Davon kann keine Rede sein. Du wirst mit den Kindern heute Nachmittag nach Stargard fahren und dort bleiben, bis alles wieder ruhig ist.«
»Du lässt uns im Stich!«
»Nein. Ich tue nur meine Pflicht.«
»Deine Pflicht?« Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. »Die sollte es sein, deine Frau, die Kinder und das Haus zu bewachen. Stattdessen verlässt du uns und schickst uns fort aufs Land.«
|416| »Ich folge dem Ruf unserer Königin.« Hufeland zögerte einen Moment. Sollte er ihr den Grund seines Zorns verschweigen? Nein, dadurch würde es nur noch schlimmer. »Von wem ist das Kind, das du unter deinem Herzen trägst?«
Sie wurde blass. »Was meinst du damit?«
»Juliane, ich weiß einfaches Unwohlsein oder Magenleiden von einer Schwangerschaft zu unterscheiden. Zudem genügt es nicht mehr, den Bauch unter weitem Gewand zu verbergen. In Gottes Namen, lüg mich nicht an, nicht jetzt!«
Ihre Augen wurden feucht. »Ja, es ist wahr,
Weitere Kostenlose Bücher