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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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Albert damals geahnt, was er von sich gab, als er Kircher rezitierte? Wie oben, so unten! Die Multiplikation erfolgte nicht ins Vielfache. Nein, er musste nichts weiter tun, als sie im umgekehrten Sinne zu vervielfachen, in allerkleinste Grane, einem Hundertstelgran, Tausendstelgran oder gar zu einem Millionstelgran. Das Gift, ja alle Substanzen aus Gottes reicher Natur mussten potenziert werden, um sich mit der den Geist beherrschenden Quintessenz zu verbinden und sich dann mit dem lebendigen Körper, nämlich dem des Erkrankten, zu vereinigen. Die von ihm begründete Lehre, die Homöopathie, würde mit der Potenzierung eine neue Dimension der Heilkraft erreichen, die über alles Bisherige hinausgehen würde.
    Stunde um Stunde verging. Ein ums andere Fläschchen entstand in immer höheren Verdünnungen. Gleich heute, dachte er, mache ich die ersten Arzneimittelprüfungen.
    Und während sich der Tag erhob und die Strahlen der Sonne den Frühnebel vertrieben, ahnte er, dass er etwas entdeckt hatte, das die Welt verändern würde.

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BERLIN
14. BIS 18. OKTOBER 1806
    Der Oktober war kühl und rau, die Nacht sternenklar. Vom gegenüberliegenden Haus drang laute Klaviermusik und schwebte durchs offene Fenster, eine Melodie aus Mozarts Zauberflöte. Die Aristokratie feierte das Leben.
    Hufeland schob die Lampe näher heran und beugte sich über das Manuskript des
Journals der praktischen Heilkunst
, das am nächsten Tag in Druck gehen sollte. Er blinzelte mit dem gesunden Auge, um besser sehen zu können, doch das trübe Licht machte ihm zu schaffen. Seit er durch eine Erkrankung des Nervus Opticus auf der rechten Seite erblindet war, konnte er nur mit der Unterstützung eines Vorlesers und Schreibers bis in die Nacht arbeiten. Es war dringend notwendig, einen neuen Assistenten zu finden, nun, da er die Hilfe seines ehemaligen Studenten Christian Heinrich Ernst Bischoff nicht länger in Anspruch nehmen wollte. Ihm hatte er die letzten Jahre sein Vertrauen geschenkt, doch dieser hatte es gründlich missbraucht.
    Schwermütig schob Hufeland das Manuskript beiseite, stand auf und ging zum Fenster. Das obere Stockwerk des gegenüberliegenden Hauses war illuminiert, auf einem Balkon standen wohlgekleidete Herren und rauchten, zeigten sich den auf der Straße flanierenden Menschen.
    »Du bist noch nicht fertig?«
    Hufeland drehte sich um. Juliane war eingetreten, ihre dunklen Locken waren zu einer hohen Frisur getürmt, ihr silberdurchwirktes weit geschnittenes Kleid funkelte im Licht, das aus dem Flur hereindrang. Sie war eine schöne Frau.
    »Sie müssen der glücklichste Mann auf Erden sein«, hatte ein Kollege einmal neidvoll gesagt, »haben die bezauberndste Frau, die |413| ansehnlichste Equipage und als Leibarzt das höchste Einkommen.« Ach, wenn er wüsste.
    »Ich komme nicht mit«, antwortete Hufeland, und seine Frau verzog schmollend den Mund.
    »Warum nicht?«
    »Ich bin besorgt. Ich kann mich dem allgemeinen Amüsement nicht anschließen, kannst du das nicht verstehen?«
    »Ich wüsste nicht, was unsere Truppen davon hätten, wenn wir uns dem Trübsinn hingäben. Wir sollten dem Krieg mit Würde begegnen, das wäre der Lage angemessener. Und hieß es nicht gestern noch, die große Schlacht sei gewonnen?«
    »Lass uns nicht streiten«, sagte er müde. »Du kannst allein gehen, ich habe zu arbeiten.«
    »Natürlich, was sonst«, gab sie schnippisch zurück und ging ohne ein Wort des Abschieds.
    Hufeland atmete die kühle Nachtluft ein. Er dachte an Königin Luise, die sich unterdessen in Weimar befand, um den Soldaten Mut zuzusprechen, und an den König, der die Schlacht dort focht. Als sie in den Krieg gezogen waren, hatte die Königin gerufen, Preußen solle frei bleiben und nicht von der Gnade eines Napoleons abhängig sein, solange es sich schlagen und wehren konnte. Und während man nun in Berlin an ihren Worten festhielt und auf ein Wunder hoffte, begann man, hinter vorgehaltener Hand zu munkeln, dass Preußen in einen Krieg gezogen war, den es nicht würde gewinnen können. Seit Tagen schon wechselten sich Katastrophenmeldungen mit Siegesnachrichten ab und versetzten die Stadt in einen Taumel unterschiedlichster Gefühle.
    Gestern Abend erst hatte Hufeland an einem großen Siegesmahl teilgenommen. Es hieß, man habe Napoleons Truppen bei Jena vernichtend geschlagen, nun müsse man feiern, auf das Leben trinken und auf die Freiheit. Doch während die anderen einen Jubelgesang anstimmten, hatte er den

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