Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
aber du darfst mich nicht dafür verurteilen.«
»Ist es von Bischoff?« Hufeland schrie beinahe. Alles, was sich in den Jahren in ihm aufgestaut und was er für sich behalten hatte, zum Wohle seiner Kinder, brach nun endlich hervor. Er brauchte Juliane nur anzusehen, um zu wissen, dass er mit seiner Vermutung recht hatte, denn augenblicklich überzogen sich ihre blassen Wangen mit Röte.
Bischoff, eingestellt, um ihn bei seiner Arbeit zu entlasten, hatte nie einen Hehl aus seiner Zuneigung zu Juliane gemacht. Sie war ihm bereits in Jena eng verbunden, mehr als einmal hatte Hufeland sich gefragt, ob Laura, die im vorletzten Jahr seiner Professur zur Welt gekommen war, ein Kuckuckskind war. Doch er hatte seinen Verdacht beiseitegeschoben, sich stattdessen in die Arbeit gestürzt, um den Schmerz zu betäuben. Wie oft hatte er in diesen Jahren an Helene gedacht, hatte sich gefragt, wie sein Leben verlaufen wäre, wenn er sich anders entschieden hätte.
Er hatte angenommen, der Umzug von Jena nach Berlin würde ihm und seinen Kindern eine sichere Zukunft versprechen und die Familie näher zusammenbringen. Doch er hatte feststellen müssen, dass Juliane auch hier nur die Vorteile seiner Stellung als königlicher Leibarzt, Direktor des Medizinischen Kollegiums und erster Arzt der Charité genoss, während sie ihr Bett längst mit seinem Assistenten teilte.
Juliane sank zu Boden und flehte unter Tränen: »Wenn du wüsstest, wie oft ich gewartet habe, dass du mich einmal so ansiehst wie |417| damals diese … diese Frau. Dass du Zeit für mich hast, mir deine Liebe zeigst. Doch stattdessen gab es für dich immer nur deine Pflichten. Von morgens bis abends hast du nur an deine Arbeit gedacht, warst in der Charité, hast gelehrt, Patienten versorgt und der Königsfamilie treu gedient.« Sie schluchzte heftig. »Hast du es damals, als du Helene gehen ließest, nur wegen der Kinder getan?«
»Juliane, es reicht.« Er sagte es mit unverhohlener Bitterkeit, die ihn selbst überraschte.
Sie blickte ihn bestürzt an und stand wieder auf. »Nein, es reicht noch lange nicht. Wie, hast du gedacht, kann eine Frau die Nächte überstehen, wenn ihr Mann in Gedanken stets bei einer anderen ist und, kaum zu Hause, wieder in seinem Arbeitszimmer verschwindet, um sich erst zu ihr zu legen, wenn der Morgen naht?«
Er schwieg, zornig. Wusste sie nicht, dass das der Preis ihres aufwendigen Lebensstils war, der schönen Kleider, der Equipage, der Bediensteten? Wie hätten tausendsechshundert Taler reichen sollen, wenn man jährlich fünftausend benötigte?
»Ich möchte«, sagte er schließlich mit fester Stimme, »dass du mit den Kindern nach Stargard fährst. Du wirst tun, was ich dir sage. Über alles andere sprechen wir, wenn ich zurück bin.«
|418| 2
KÖNIGSBERG
NOVEMBER 1806
Helene legte das Marzipankonfekt in die Auslage neben Nougatpralinen, Trüffel, Gebäck und den noch warmen Kuchen.
Die Ladentür öffnete sich mit einem Schwung, und Albert kam herein, einen Stapel Zeitungen unter dem Arm. Seine Wangen waren von der Kälte gerötet. Er schloss rasch die Tür, um die eisige Luft auszusperren.
Sie nickte ihm lächelnd zu. Wer ihn nicht kannte, würde niemals vermuten, was ihm dereinst im Leipziger Irrenhaus widerfahren war. Eine blonde Perücke bedeckte seinen geschundenen Kopf, und seine Gesichtszüge waren wieder entspannt und heiter. Nur manchmal stieg die Erinnerung aus den Tiefen seiner Seele, wenn er wieder einmal schreiend aus dem Schlaf erwachte oder, unvermutet angesprochen, heftig zusammenschrak.
»Du kommst gerade zur rechten Zeit«, sagte Helene. »Herr Jacobeit wartet schon sehnsüchtig auf die neueste Presse.« Sie wies mit dem Kopf ins Lesezimmer, wo der junge Literat im Winter für gewöhnlich den ganzen Tag verbrachte, weil seine Wohnung keinen Ofen hatte.
Albert ignorierte ihre Aufforderung. »Hast du gehört? Napoleons Truppen haben Berlin besetzt, die Aristokratie macht sich auf den Weg nach Königsberg.«
Helene nickte bekümmert. Doch bevor sie antworten konnte, kamen weitere Gäste: ältere Herren, pensionierte Militärs, Gutsbesitzer, die zum Kuchen schon am Morgen einen Likör bestellten.
Das Lesezimmer, das sich an den vorderen Gastraum anschloss, füllte sich zusehends. Albert servierte Kaffee in silbernen Kannen, das wunderbare Aroma der frisch gemahlenen und aufgebrühten |419| Bohnen zog durch die Räume und mischte sich mit dem Rauch der Zigarren.
Wieder öffnete sich die Tür. Eine junge
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