Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
Frau trat ein und bestellte eine Schachtel Marzipankonfekt. »Von dem aphrodisierenden«, sagte sie und verdrehte die Augen.
»Gern. Wie geht es dem Medizinalrat?«
»Nicht gut. Er wird jeden Tag schwächer. Aber eines wird er niemals lassen.« Die junge Frau lächelte vielsagend. »Nur ist er da bei mir an der falschen Stelle!«
»Geben Sie ihm ruhig eins auf die Finger, wenn er zudringlich wird«, sagte Helene lachend, legte das Konfekt in eine Schachtel und reichte sie über den Tresen.
Die Frau stimmte laut ein. »Da können Sie sich sicher sein«, sagte sie, zahlte und verließ das Geschäft.
Gustav Meschkat … Als sie in Königsberg angekommen waren, war Helene bestürzt gewesen zu erfahren, was mit ihrem Vater geschehen war. Die Nachricht, er habe es nicht ertragen können, seine Apotheke an den Medizinalrat überschreiben zu müssen, hatte sie umso mehr erschüttert, als der eilig aufgesuchte Notar ihr die Schuld daran gab, da es angeblich die ausgebliebene Hochzeit gewesen wäre, die den Vater in größte Schulden gestürzt hatte.
Sie erinnerte sich noch, als hätte es sich erst gestern zugetragen, wie überrascht sie gewesen war, als sie Meschkat wutentbrannt aufsuchte und einen gebrochenen Mann vorgefunden hatte. Abgemagert, vom Schlagfluss gezeichnet, der ihn nur wenige Jahre zuvor ereilt hatte. Er hatte so etwas wie Reue gezeigt und ihr die ausgebrannte Ruine für wenig Geld überlassen.
Fast zwei Jahre hatte es gedauert und beinahe ihre gesamten Ersparnisse aufgezehrt, um aus dem Haus das zu machen, was es einmal gewesen war. Nein, es war fast noch schöner geworden, mit stuckverzierter Fassade und einem kunstvoll gemalten Schild über der Tür. Nun war dort, wo sich einst die Apotheke befunden hatte, ihr Kaffeehaus. Ihres und Alberts. Und unterdessen hatte der Ruf ihres Konfekts so weite Kreise gezogen, dass sie sogar an den |420| Wochenenden in der Backstube stand, um es zu fertigen, und einen Gehilfen beschäftigte, um allen Aufträgen nachzukommen. »Ich bin im Labor. Das
Vogtsche Lebenswasser
sollte bald fertig sein«, sagte Albert und unterbrach ihre Grübeleien.
»Ich danke dir«, sagte sie, und er verschwand in der Backstube, dem Raum, in dem vormals das Labor ihres Vaters lag und den sie noch immer so nannten. Bevor sie aus Jena abgereist waren, hatte Helene in der Wohnung am unteren Markt die Rezeptur gefunden, nach der Johann sein Lebenswasser herstellte, das einen Trägerstoff mit außergewöhnlicher Wirkung ergab und die Sinnesnerven zu sensibilisieren verstand.
Helene atmete tief ein und konzentrierte sich auf die Liste der Zutaten, die sie am nächsten Morgen auf dem Markt einkaufen wollte.
Noch war es ruhig, man hörte das Rascheln der Zeitungen und das stille Seufzen des Literaten, der eines der soeben beschriebenen Blätter zerriss. Gegen Mittag würden dann die Professoren und Doktoren, Lehrer und älteren Studenten kommen und jene Schriftsteller, die eine feste Anstellung hatten.
Es war Nachmittag, als es im Lesezimmer plötzlich laut wurde, einige der Gäste johlten und pfiffen, und Helene verließ ihren Platz hinter dem Tresen, um nachzusehen, was die Ursache dafür war.
Ein Mann von schlankem Wuchs und vornehmer Nonchalance stand von den anderen umringt, er erzählte von Napoleons Einmarsch in Berlin, nun war er der Kaiser selbst, hob jovial die Hand und grüßte in jede Richtung, einer rief laut »Vivat« und wurde sogleich mit dem Schlag einer Zeitung mundtot gemacht.
»Vom Tiergarten durchs Brandenburger Tor bis hin zum Schloss standen die Franzosen auf beiden Seiten der Straße Spalier«, berichtete der Mann und machte eine ausladende Handbewegung. »Wohin man sah, waren Gewehre, Adler und Helme, alles in blendender Pracht. Bevor man den Kaiser sah, hörte man Trompeten, Trommeln und fremdartige Musik, es schritten die Mameluken der Leibwache in türkischer Tracht, Grenadiere und Jäger. Dann endlich kam Napoleon auf dem Pferd in der Uniform seiner Garde, |421| ihm folgten die Marschälle und Würdeträger, zuletzt die berittenen Infanteristen.«
»Und das Volk?«, rief einer. »Haben die Berliner dem zugesehen?«
»Es waren keine da. Nur bezahlte Claqueure und einige Neugierige. Man hatte die Bevölkerung dazu aufgerufen, sich den neuen Herren unterwürfig zu zeigen, auf dass kein Unglück geschehe. Ich habe am Fenster meiner Wohnung gestanden und mich hinter dem Vorhang verborgen. Nein, niemand wollte ihnen die Genugtuung geben, den Triumph vor staunenden
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