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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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Wohnung fand, trägt einiges zu diesem Erfolg bei. So erweist er sich auch nach seinem Tode als hervorragender Alchemist.
    Du wirst Dich fragen, warum ich Dir nach all den Jahren schreibe, und läge es allein an mir, ich fände gewiss nicht den Mut. Doch neben mir sitzt Albert und kann gar nicht erwarten, Dir Grüße zu übermitteln und zu sagen, dass er auf dem Weg der Genesung ist.
    Samuel Hahnemann hat Wunder bewirkt. Auch wenn mein Bruder noch nicht vollständig wiederhergestellt ist, so hat es die neue Medikation, die der Doktor noch in Georgenthal ersann, doch vermocht, Alberts Geist aus der furchtbaren Welt hervorzulocken, in der er sich über Jahre verborgen hatte. Und mit der zunehmenden Klarheit kam auch die Erinnerung zurück.
    Er bat mich, Dir auszurichten, was sich damals zugetragen hat, als Carl Lohenkamp versuchte, ihn im Duell niederzustrecken. Er glaubt, es würde Dir helfen, ein für alle Mal zu vergessen, also tue ich es, Dir zu Gefallen.
    Ludwig Gerstel war es, der damals beobachtete, wie mein Bruder
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in die Magazinräume schlich und die Rezeptur fand. Er hatte geschworen, ihn nicht zu verraten, sein Versprechen aber gebrochen. Carl Lohenkamp sollte Albert unter Androhung von Gewalt zur Herausgabe bewegen. Doch der hatte die Schrift inzwischen gut verborgen und weigerte sich.
    Am Tage des Duells überschlugen sich die Ereignisse. Carl wurde von seinem Jähzorn übermannt und stach meinen Bruder nieder, vielleicht folgte er hierin auch einem Befehl des Oberen. Doch Albert war nicht tödlich getroffen. Als er sein Bewusstsein wiedererlangte, lag Ludwig auf seinem Körper, von eigener Hand erstochen.
     
    Hufeland erschauderte bei der Erinnerung an den Abend. Er sah Ludwigs blutleeres Gesicht, sein Entsetzen noch vor sich, als wäre es gestern. »Es ist meine Schuld!«, hatte er in die beginnende Nacht geschrien und sich an den Regungslosen gepresst. Das Grauen, das mit diesem Ruf durch die Gassen gehallt war, hatte Hufeland noch lange verfolgt.
     
    Mein Bruder vermutet, dass die Männer, die seinen Kommilitonen später auf Geheiß des Totengräbers aufsammelten, davon ausgehen mussten, dass hier Albert Steinhäuser in seinem Blut lag. Anders kann er es sich nicht erklären, dass Ludwig im Grab lag.
    So hat es sich zugetragen, und nun, da ich Dir davon berichte, hat Albert große Fortschritte gemacht. Die Nächte werden ruhiger.
     
    Er ließ den Brief sinken und sah hinaus, ohne die vorbeiziehende Landschaft wahrzunehmen. Die Jenaer Tage standen ihm deutlich vor Augen. Seit dem großen Brand war Dürrbaum verschwunden, der Verwalter des Accouchierhauses, später der Naturaliensammlung. Hufeland hatte noch oft an Hahnemanns Worte denken müssen, dass man immer zuerst an das Offensichtliche dachte und daher einen wahren Meister der Alchemie nur schwer erkannte. Dass er ein Freund sein konnte, ja selbst der Vater oder der Bruder. So war es auch Dürrbaum gelungen, die gesamte Stadt zum Narren zu halten. Mit seinem unscheinbaren Wesen hatte er Zugang zu sämtlichen |425| Institutionen der Universität, und dank seines Fleißes und seiner Zuverlässigkeit vertraute man ihm.
    Und dieser Mann sollte schuld am Tod seines Schwagers gewesen sein? Es hatte ihn schwer erschüttert. Niemals hätte er vermutet, dass Dürrbaum danach streben könnte, Johnssens Nachfolger zu werden, niemals geglaubt, dass er zu solch grauenvollen Taten fähig sei. Doch das Leben hatte sich schon oft als unberechenbar erwiesen, und es ging weiter. So auch jetzt.
    Hufeland sah wieder auf den Brief in seinen Händen und strich sanft mit den Fingern über die geschwungene Schrift.
     
    Nun bleibt es mir zu sagen, wie stolz ich auf Dich bin und wie recht Du hattest, in Jena zu bleiben, denn was wäre die Welt ohne den Dienst, den Du ihr erweist? Dein Buch zur Makrobiotik soll, wie man mir berichtete, in sämtliche Sprachen unseres Kontinents übersetzt werden, und auch Dein Journal der praktischen Heilkunst erfreut sich bei den hiesigen Medizinern größter Beliebtheit. Selbst unserem Freund Samuel Hahnemann hast Du hier das Wort erteilt, ich habe seinen Artikel über den »Versuch über ein neues Prinzip zur Auffindung der Heilkräfte der Arzneisubstanzen« gelesen. Er weiß Deine Unterstützung gewiss zu schätzen.
    Ich denke oft an die kurze Zeit zurück, die uns vergönnt war, und ich werde sie in meinem Herzen hüten wie einen Schatz.
    In innigster Verbundenheit,
    Deine Helene
    Im Dezember
1796
     
    Das Knallen der Peitsche

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