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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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aufhielt, um Geld für Kost und Logis einzuziehen. Helene zuckte stumm die Schultern und zeigte in Augustes Richtung, doch der Wirt schüttelte den Kopf und wies auf den gegenüberliegenden Stall, in dem auch der schmächtige Russe verschwand.
    Helene seufzte. Sie warf einen flüchtigen Blick hinein, roch Tierkot und feuchtes Stroh, sah den Russen, der eine schmale Leiter in jenen Teil hinaufkletterte, in dem sich ein Heuboden befinden musste. Nein, hier würde sie nicht schlafen, neben Hühnern, Gänsen und Schweinen. Und neben dem schweigsamen Russen mit dem eisernen Griff.
    Der Regen hatte den Boden in tiefen Morast verwandelt, barfuß und mit hochgekrempelten Hosenbeinen lief sie zur Kutsche, rutschte aus, fiel hin und verlor die Perücke, die ihr ohnehin zu groß gewesen war. Das kalte Wasser rann ihr über den Nacken in das Hemd, und als sie, die schmutzige Perücke in der einen, die Holzschuhe in der anderen Hand, den Wagen erreicht hatte, war sie durch und durch nass.
    Als sie die Tür zur Kutsche öffnete, blickten ihr die erst zusammengekniffenen, dann immer größeren Augen des Herrn Stobbe entgegen, dem die Unterkunft wohl ebenso wenig zugesagt hatte. Sein Mund verzog sich zu einem Grinsen. »Ein Mädchen in Jungenkleidung?« Schlanke Hände winkten ihr, zu ihm ins Wageninnere zu steigen.
    Helene strich sich erschrocken über ihr flachsblondes Haar und schloss energisch die Tür. Ihr Blick fiel auf den hinteren Verschlag, in dem sich das Gepäck befand. Einer plötzlichen Sorge folgend, hob sie die schwere Reisetasche herunter und eilte, so schnell es ihr möglich war, zum Stall zurück.
    Der Duft feuchten Strohs kitzelte in ihrer Nase und ließ sie heftig niesen. Draußen fiel der Regen stärker, der Wind peitschte ihn das Scheunendach hinab. Aus dem Dunkel drang Schnüffeln und Grunzen. Der Gestank war erbärmlich.
    Helene presste die Tasche fest an sich und kletterte die schmale |59| Leiter nach oben auf den Heuboden. Ein wenig abseits lag der schmächtige Russe, seinen Reisesack unter dem Kopf, und schnarchte gegen das Tosen des Windes an, was ihm bestens gelang.
    Helene öffnete die Tasche, überprüfte den Inhalt, dachte an die Reisen, auf denen diese Tasche den Vater begleitet hatte, schloss sie wieder. Dann hob sie einen Zipfel ihres nassen Hemdes und roch an dem Stoff. Das Holz der Sitze und der Kutschverkleidung hatte Alberts Geruch vertrieben, ihn überdeckt, sich an seiner statt in den Stoff gebrannt, den Rest hatte das Regenwasser fortgespült. Dicke Tränen liefen über Helenes Wangen. Noch nie im Leben hatte sie sich so einsam gefühlt.
    Nach einer Weile beschloss Helene, es dem Russen gleichzutun, und legte den Kopf auf die Tasche, um ein wenig Schlaf zu finden. Etwas irritierte sie, da war ein feines Geräusch gewesen, als sie den Kopf ablegte, etwas jenseits des Leders.
    Sie hob den Kopf und senkte ihn wieder, dieses Mal aufmerksam. Der Regen prasselte laut auf das Dach, doch ja, da war etwas, ein Knistern, das dem gespitzten Ohr nicht entging.
    Helene öffnete die Tasche und tastete an der Innenseite entlang. Dort war eine Öffnung, und als sie hineingriff, fühlte sie ein Stück Papier.
    Überrascht zog sie es heraus und betrachtete es im Halbdunkel der Scheune. Ein Brief, bereits geöffnet. Erste Wassertropfen drangen durch das Dach und perlten auf ihr Lager. Sofort rückte sie ein Stück zur Seite.
    Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete sie den hellen Umschlag mit der feinen Schrift, deren akkurater Schwung sie augenblicklich in heftige Unruhe versetzte, sie brauchte Licht!
    Der Russe hustete geräuschvoll und verfiel in ein asthmatisches Pfeifen.
    Helene griff nach der Tasche, steckte den Brief zurück in die Innentasche, kletterte die Leiter hinab und schlich zum Scheunentor. Feuchtkalte Luft schlug ihr entgegen. Das Unwetter hatte nur wenig nachgelassen. Schlamm, Zweige und allerlei Unrat trieben den Hügel hinab zum Bach, dessen Wasser bereits über die Ufer getreten |60| war. Barfuß und mit geschulterter Tasche stapfte sie durch den nassen Morast hinüber zum Gasthaus, in dem noch Licht brannte.
    Das Wasser tropfte von Haaren und Stirn, als sie die Tür zur Gaststube öffnete und eine Spur von Nässe und Schlamm zog.
    Helene sah sich um. Das Licht, das sie von außen gesehen hatte, kam von einer Öllampe, sie schien auf die Silhouette des Uhrmachers, dessen Kopf auf einen langen Tisch gesunken lag, neben Resten von Brot und Speck, vor ihm eine leere Flasche Branntwein.

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