Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
Verärgerung und Verständnis |65| schwankend. Er wusste ja, dass viele Dinge nichts taugten, die in den gelehrten Büchern standen. Das blutige Schröpfen hatte nur wenig Erleichterung gebracht. Und die Medikamente, die er nach bestem Wissen verordnet hatte, hatten einen Wochenlohn verschlungen. Wie viel lieber hätte er ein Heilmittel, das erschwinglich war und den menschlichen Körper sofort und unwiderruflich gegen jede Erkrankung feite!
Er dachte an die Schrift, die er in den unermesslichen Schätzen der Bibliothek des Gouverneurs von Siebenbürgen, Baron von Brukenthal, gefunden hatte und die von einer Rezeptur für eine wahrhaft göttliche Arznei berichtete, dem größten Geheimnis der Heilkunst.
Sie ist in der Lage, unreine Materie vom menschlichen Körper zu lösen und ihn von allen inwendigen Mängeln zu befreien,
hatte dort gestanden
. Ihre Dosis ist klein, aber ihre Wirkung mächtig.
Hahnemann hatte bereits eine Menge alchemistischer Texte zu Gesicht bekommen. Die meisten vermochten einer kritischen Betrachtung nicht standzuhalten, ja widersprachen sich sogar. Jene Schrift aber, in der ein Augenzeuge von unvorstellbaren Heilungen berichtete, übte eine Faszination aus, der er sich nur schwer entziehen konnte. Mär oder Wahrheit? Oder nur leeres Geschwätz allzu mystisch geprägter Freimaurerlogen?
Voller Ungeduld dachte er an den Brief, auf den er seit Wochen wartete und der eine Antwort auf diese drängende Frage bringen mochte. Vielleicht würde er bald mehr dazu wissen.
Er seufzte und sah Frau Fließbach streng an. »Ich muss Ihren Mann noch einmal untersuchen«, sagte er. »Wie soll ich ihn sonst behandeln können?«
»Wann soll das gehen? Er arbeitet vom Morgengrauen bis spät in die Nacht«, fragte sie spitz und rutschte unbehaglich auf dem Stuhl.
»Am Sonntag.«
»Er wird auch am Sonntag arbeiten müssen, gleich nach der Kirche.«
»Dann komme ich nachts. Wenn nötig auch nach Mitternacht.«
|66| »Ich werde es ihm ausrichten und Ihnen dann Mitteilung machen.« Die Frau stand auf, hob den Weidenkorb mit dem schlafenden Kind, und während sie sich ohne weitere Verabschiedung zur Tür wandte, fiel ihm noch etwas ein. »Ist Ihr Kochgeschirr aus Kupfer?«
Sie hielt inne und nickte.
»Verwenden Sie anderes. Aber nicht Kupfer! Sie werden sehen, es wird ihm bald besser gehen.«
»Unmöglich, der Topf ist ein Geschenk und überaus wertvoll!«
»Gute Frau, wollen Sie mir sagen, dass Ihnen der Topf wichtiger ist als die Gesundheit Ihres Mannes?«, dröhnte er, nun endgültig aufgebracht. Er sprang auf. »Sie werden den Topf ohnehin verkaufen müssen, wenn seine Beine erlahmen und er nicht mehr arbeiten kann, aber dann ist es zu spät!«
Frau Fließbach errötete wieder. Sie werde es sich überlegen, sagte sie im Hinausgehen und ließ den jungen Arzt mit seinem Unmut allein.
Hahnemann setzte sich und versuchte, sich zu beruhigen. Es war zum Verzweifeln!
Die Professoren, ob in Leipzig oder in Wien, hatten ihn mit theoretischem Wissen gemästet, das sich nun als fehlerhaft erwies. Den größten Teil des Studiums hatten die angehenden Ärzte Texte der klassischen Autoren lesen und interpretieren müssen, vor allem die des Galen und seiner Säftelehre, ohne je einen Patienten zu Gesicht zu bekommen. Darüber hinaus verlor man sich in den verschiedensten Theorien, erklärte das Fieber mit der erhöhten Reibung des Blutes an den Gefäßwänden und sah den Organismus als ein Gefäß an, in dem allerlei gekocht wurde. Erst in Wien hatte er den Krankenbesuchen des Professor Querin beiwohnen dürfen und endlich Dinge über die Heilkunst am Menschen lernen können, die über die ihm bekannten medizinischen und alchemistischen Lehren hinausgingen. Und doch wusste er noch längst nicht genug, um den Menschen wirklich zu helfen.
Erst letzten Monat hatte er ein Bauernmädchen aus Quenstädt gegen Faulfieber behandelt. Sie hatte nach der Gabe eines Brechmittels |67| die übliche Mischung aus Buttermilch, Sauermilch, Salzgeist und Salpeter erhalten, so wie er es während des Studiums gelernt hatte. Doch vor allem letztere Arznei erwies sich als schädlich, sie schwächte die Kranke, statt sie zu stärken. Und das war nicht der einzige Fall.
Selbst bei den medizinischen Werken, die er aus dem Englischen und Französischen übersetzte, hatten sich ungeheuerliche Irrtümer eingeschlichen, und er wagte nicht, daran zu denken, was bereits geschehen war, bevor diese Fehler korrigiert werden konnten.
Das
Weitere Kostenlose Bücher