Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
sie.
»Es sind ebenso wenig Geister am Werk wie bei der Elektrizität, die es vermag, einem scheinbar aus dem Nichts ungeheure Schläge zu versetzen. Nein, es ist nichts weiter als das Wirken magnetischer Kräfte.«
»Ach«, seufzte sie, und es klang beinahe enttäuscht. »Aber ich spüre, dass es hilft.« Sie schloss die Augen wieder.
Hahnemann betrachtete ihre entspannten Züge. Wie gern würde er eine wissenschaftliche Erklärung für das Phänomen des tierischen Magnetismus finden. Mesmer selbst hatte die Ärzteschaft dazu aufgefordert, sich dieses Forschungsgegenstandes anzunehmen. Waren jene äußerst feinen Substanzteilchen, die er als Ursache des Magnetismus anführte, wirklich nicht nachweisbar? War es dieselbe Kraft, die das Meer und die Luft anschwellen ließ, die auch im Körper eine Flut bewirkte?
Hahnemann schüttelte unmerklich den Kopf. Zu viele Fragen an einem Tag, sie reichten für ein ganzes Leben. Aber er würde nicht aufgeben. Eines Tages würde er all diesen Dingen auf die Spur kommen, so wahr ihm Gott helfe!
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KÖNIGSBERG
29. SEPTEMBER 1780
Friedrich Steinhäuser eilte voran, mit gesenktem Kopf. Die Pfützen glänzten in der Sonne, der Wind frischte auf. Ein Fuhrwerk rumpelte vorbei und ließ dreckiges Wasser auf den Gehsteig spritzen. Er fluchte, als es seinen Gehrock beschmutzte, doch er lief weiter.
Die Nachricht, die er zu übermitteln hatte, war keine gute, und er scheute sich davor, sie auszusprechen. Aber was hatte er für eine Wahl?
Zutiefst beunruhigt stieg er die Stufen zum Eingang des prächtigen Hauses des Medizinalrats hinauf. Ein Kammerdiener öffnete ihm die Tür und ließ ihn im dunklen Eingangsbereich warten, beinahe eine halbe Stunde, bis er sich selbst bemühte und an die Tür zur Bibliothek klopfte, in der er Gustav Meschkat vermutete.
Die Bibliothek war düster, gefüllt mit raumhohen Regalen aus dunklem Eichenholz. Der Geruch war unerträglich, abgestanden und schweißerfüllt. Der Medizinalrat saß in einem breiten gepolsterten Stuhl mit Armlehnen und hatte die Füße auf einen Sitzhocker gelegt. Neben ihm, auf einem Beistelltischchen, ein Tablett mit etwas Marzipankonfekt. Er erhob sich und ging ihm mit breitem Lächeln entgegen.
»Mein lieber Schwiegervater, welch Freude«, rief er aus und klopfte Steinhäuser kameradschaftlich auf den Rücken. »Was führt Sie zu mir?«
»Ich komme mit schlechten Nachrichten.«
»So?« Das Lächeln schwand aus dem fleischigen Gesicht. Meschkat führte seinen Gast zu einem weiteren Armstuhl und ließ sich in den seinen fallen. »Was kann es Schlimmes geben?«
Friedrich Steinhäuser knetete seine Hände, erzählte von der vermissten |71| Tochter und den Sachen, die mit ihr verschwunden waren. Einer der Kunden habe sie auf der Poststation gesehen, verkleidet wie ein Junge, und als er selbst dort nachfragte, habe man ihm bestätigt, dass Helene mit einer Dame abgereist sei, in Richtung Berlin.
»Berlin?« Meschkats Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Ich nehme an, sie besucht dort Verwandtschaft?«
»Ich fürchte, nein.« Er senkte den Kopf.
Meschkat beugte sich vor, und als er sprach, klang seine Stimme beinahe besorgt. »Ihr solltet besser auf Euer Kapital aufpassen, werter Freund. Denn es ist Ihnen wohl klar, dass Sie mit Ihrer Tochter das Einzige verloren haben, was Ihre Apotheke hätte retten können?«
»Nicht die Apotheke!« Steinhäuser sprang auf. »Sie stoßen mir das Messer in die Brust!«
»Mäßigen Sie sich, mein Freund.« Meschkat wartete, bis er sich wieder setzte, dann fuhr er in geschäftlichem Tonfall fort. »Ihnen wird nichts anderes übrigbleiben, als mir Ihr Geschäft zu überschreiben. Ansonsten sehe ich mich gezwungen, Ihre Säumnis öffentlich zu machen. Und wie Sie sicher wissen, kann das eine Inhaftierung bedeuten, die bei dieser Summe gewiss Jahre dauern wird.«
Friedrich Steinhäuser erstarrte. Dieses verdammte Glücksspiel! Er hätte es ahnen müssen, als er den Medizinalrat in jener Nacht um Geld gebeten hatte, um zurückzugewinnen, was er verloren hatte. Er war von Sinnen gewesen, berauscht und auch zu betrunken, um einzusehen, dass er dabei war, Haus und Hof zu verwetten. Wie rasch konnte es gehen. Nur eine einzige Nacht hatte über Glück und Unglück entschieden. Er hätte sich ohrfeigen können! Wie erleichtert er gewesen war, als Meschkat ihm einen Handel angeboten hatte, der ihm bewies, einen guten Freund in ihm gefunden zu haben. Erleichtert – und dumm.
»Ich kann
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