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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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erkaufen. Frauen in prächtigem Aufputz beherrschten das Bild, Kinder, ausstaffiert wie kleine Erwachsene. Soldaten, die in Grüppchen standen oder über das Pflaster wanderten, prächtige Kutschen, deren Insassen sich weit hinauslehnten, um die breiten Paläste zu bestaunen, in deren unteren Geschossen Luxuswaren feilgeboten wurden. Fahrzeuge und Fußgänger bewegten sich munter durcheinander. Dazwischen abgemagerte Kinder in Lumpen, die von einem Mann mit Dreispitz verjagt wurden.
    Die Konditorei lag im unteren Geschoss eines Prachthauses, und man musste einige Stufen hinabsteigen, um sie zu betreten. Eine behagliche Wärme strömte Helene entgegen. Das Verkaufslokal glich einer eleganten Stube: An der Decke Stukkaturen, kunstvolle Ornamente in gleichmäßigem Relief. Aufwändig gerahmte Spiegel erzeugten die Illusion Hunderter kleiner Tische und Stühle, alles wirkte fein und kultiviert. Die Herren, die an den Tischen beisammensaßen, um über Literatur, Philosophie, Politik und Geschäfte zu debattieren, gehörten zur Elite der Gesellschaft. Literaten und Gelehrte neben im Staatsdienst ergrauten Männern.
    Das Besondere dieser Konditorei aber war nicht der kräftige Mokka oder der Milchkaffee, der in Schalen groß wie Bowlen serviert wurde, auch nicht die gebackenen Köstlichkeiten. Anziehungspunkt war offenbar das Lesekabinett mit wissenschaftlichen und belletristischen Zeitschriften, in die sich die Männer vertieften.
    |114| »Kann ich helfen?« Eine freundliche Kellnerin sah sie dienstbeflissen an.
    Helene zeigte auf die Auslage, in der sahnige Torten neben hochgetürmten Kuchen standen, es gab gezuckertes Gebäck, Bonbons und eingelegte Früchte. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. »Ich möchte eine große Schachtel Ihres Spezialitätenkonfekts. Und …« Sie straffte die Schultern. »Und ich möchte Herrn Sprugasci sprechen.«
    »Herr Sprugasci hat die Konditorei heute noch nicht betreten.«
    »Wird er denn noch erwartet?« Bitte, flehte sie still. Alles hing davon ab, dass sie mit ihm reden konnte.
    »Ja. Für gewöhnlich kommt er gegen zehn.«
    Helene sah auf die Wanduhr oberhalb des Tresens. Es war Viertel vor zehn. Sie seufzte, beschloss auszuharren, selbst wenn Auguste sie mit Ungeduld zurückerwartete, und suchte sich einen Platz nahe der Auslage mit Blick auf die Tür.
    Der Raum war erfüllt mit dem leisen Klirren von Tellern und Tassen und einem gedämpftem Stimmengewirr, ein beständiges Gemurmel und Geschwatze. Ein Mann mit Notizbuch schien in seinen Ausführungen besonders gelehrt, um ihn herum saßen aufmerksam lauschende Besucher und nickten verständig. Wortfetzen drangen von den näher liegenden Tischen an Helenes Ohr, man sprach von den Ulmen hinter dem neuen Potsdamer Schloss und über die schwere, verunreinigte Luft von Paris, gegen die sich die Ausdünstungen in Berlin noch geradezu gesundheitsfördernd ausnahmen. Über das Erziehungswesen gerieten zwei Herren hinten links beinahe in Streit, wurden jedoch alsbald von ihren Sitznachbarn zur Raison gebracht.
    Wieder sah sie zur Uhr, es war beinahe zehn.
    Am Tisch, der ihr am nächsten lag, begann man eine Diskussion über einen Artikel des
Teutschen Merkur
, in gehobener, beinahe feierlicher Stimmung. Man gedachte eines Mannes, der einen Schlagfluss erlitten hatte und innerhalb weniger Stunden verstorben war. Bevor die Debatte lauter zu werden begann, stieg ein schmaler Herr mit spitzer Nase auf einen Stuhl und bat um Ruhe, die augenblicklich |115| im gesamten Lokal eintrat. Er erhob die Zeitschrift und las mit getragener Miene:
    »Armer! Bin ich wert um Dich zu weinen,
    hier im fernen deutschen Vaterland;
    O so lass mich! – Armer, von den Deinen,
    Als Du Glauben trugst in Deiner Brust,
    Und verfolgt vom Priester unter Christen,
    Gleich als wär Verfolgen Engelslust,
    Ach! Gehöhnt, weil Dir ein Leben ohne Sünde,
    Für Dein Elend künft’gen Trost verhieß;
    Ach! Verfolgt, weil ohne Lieb und Treue
    Man umsonst Dir seinen Glauben pries!«
    Es gab zustimmenden Applaus, dann hob das Gemurmel wieder an, und während der Mann von seinem Stuhl stieg, wurde immer wieder der Name Rousseau genannt.
    Um kurz nach zehn wurde Helene nervös. Es war schon viel zu spät, Auguste würde toben. Helene musste Geduld haben, ihren Plan verschieben und auf eine bessere Gelegenheit warten. Sie stand auf und wollte den Laden soeben verlassen, als ihn ein untersetzter Mann mit dunklen Augen und buschigen Brauen betrat.
    Helene umklammerte die Schachtel mit

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