Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
Vom Netzwerk:
alten Freimaurertraditionen in Frage zu stellen. Er vermochte sogar, die bis dahin unumstrittene Führung der Berliner Mutterloge zu brechen, indem er den Generallegaten bloßstellte. Daraufhin übernahm er als Großprior die Leitung der deutschen Freimaurerei, was ihm dank der Behauptung gelang, Träger eines uralten Geheimnisses zu sein, das alles bis dahin Gekannte übertraf. Und durch die Ausstrahlung einer beinahe dämonischen Macht, die aus diesen Quellen getragen zu werden schien.
    Der Sohn des verstorbenen Verfassers jenes Büchleins, ein junger Ritter unserer Loge, verriet mir überdies Folgendes: Der Quell des uralten Wissens, aus dem Johnssen schöpfte, reicht bis zu den Ursprüngen des Christentums. Er rühmte sich, von direkten Nachkommen des Tempelherrenordens in ihre alten Geheimnisse eingeweiht worden zu
|140|
sein. Wie viel davon der Wahrheit entspricht, vermag ich nicht zu sagen, doch es scheint mir, als müsse zumindest ein Teil richtig sein, denn zu jener Zeit forderten sämtliche Logen Beweise seines unermesslichen Wissens, bevor sie sich von dem Großprior rezipieren lassen wollten. Mit der Offenlegung dieser Beweise muss er nicht wenige von ihnen nachhaltig beeindruckt haben. Niemand, der ihn persönlich zu Gesicht bekam, wagte es, je wieder an ihm und seinen Kenntnissen zu zweifeln.
    Dennoch, und das sollte man nicht vergessen, wurde er am Ende als Hochstapler überführt und in der Wartburg zu Eisenach eingekerkert, wo er Jahre später verstarb. Ob es sich also lohnt, der Sache nachzugehen? Ich bezweifle es. Aber einem solchen Forschergeist, wie Sie es einer sind, verehrter Freund, wird es sicher möglich sein, die Heilkunst allein kraft Ihres gelehrten Verstandes zu wahrer Größe zu bringen.
     
    Hahnemann ließ den Brief sinken. Er konnte eine gewisse Enttäuschung nicht verhehlen. Das Büchlein, dessen Inhalt ihn so nachhaltig beschäftigt hatte, stammte also von einem Mitglied der inzwischen verbotenen Jenaer Rosenloge, der ein Betrüger vorgestanden hatte. Sollte also die Erwähnung der Rezeptur, nach der seit Anbeginn der Zeit Wissensdurstige fahndeten, nur Teil eines großen Blendwerks sein?
    Von Brukenthal hatte geschrieben, dass Johnssen imstande gewesen war, mit Beweisen zu überzeugen. Aber was bedeutete das schon. Hahnemann schnaubte. Dass sich Professoren von gelehrtem Geschwätz erweichen ließen, beeindruckte ihn nicht im mindesten. Er hatte an den Universitäten etliche erlebt, die weit weniger wussten als er selbst. Und derartige Betrüger, wie es der selbsternannte Großprior Johnssen gewesen war, gab es unterdessen zuhauf. Sie zogen durch die Lande und versuchten, Leichtgläubige um Hab und Gut zu bringen. Dass sich damals die ehrwürdigen Logen zu dem angeblichen Erneuerer bekannten, war gewiss Folge der Sehnsucht, in die höchsten Mysterien eingeweiht zu werden. Auch ihm war es so ergangen, wenn er auf seinen Reisen |141| Bruderlogen besuchte. Aber wohin er auch ging, das wahre Wissen erschloss sich nicht durch das Nachbeten gelehrter Erkenntnisse, sondern durch selbständiges Erforschen der Materie.
    Hahnemann las den Brief noch einmal. Ein weiterer Punkt fiel ihm auf, der nicht unerheblich war. Nicht mit einem einzigen Wort wurde bestätigt, ob es diese sagenhafte Anleitung tatsächlich gab. Und selbst wenn er sich also auf die Suche nach ihr machte, wüsste er nicht, wo er anfangen sollte.
    Hahnemann stand auf und löschte das Licht. Nein, diese Spur zu verfolgen erschien ihm verschwendete Zeit.

|142| 10
JENA
31. OKTOBER 1780
    Hufeland schloss die Tür. Es war noch dunkel, die Johannisgasse menschenleer. Bald würde die Stadt erwachen, doch darauf konnte er nicht warten. Er hatte Angst. Er wusste nicht mehr, wem er trauen sollte. Warum hatte ihn Dürrbaum, der Hausvogt des Accouchierhauses, nach Hause geschickt? Tat er es auf Loders Geheiß? Auch Loder war gegen die Verschwendung von Blut, mahnte, die Anwendung des Aderlasses sorgfältig zu erwägen. So wie sie es in der Verbindung taten. Gehörte auch er zu diesen Halunken?
    Hufeland spürte, wie es in seinem Kopf zu summen begann. Dürrbaum, Loder, Vogt, Gruner. Überall wähnte er Dämonen, die sein Verderben wollten, es konnte doch nicht die ganze Stadt mit dem Keim des Übels infiziert sein?
    Er eilte die stillen Straßen entlang. Inzwischen kannte er jede Gasse, jeden Winkel. Den Marktplatz, die Michaeliskirche, den Rosenkeller, das Stadtschloss, in dem man eine beträchtliche Naturaliensammlung untergebracht

Weitere Kostenlose Bücher