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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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verbrannte ihm die Finger. Der Schmerz gemahnte augenblicklich an seine vom Phosphor brennenden Finger. Es war nur eine peinvolle Erinnerung, nichts gegen die Furcht, die er nun ausstand. |145| Doch die Dinge, die seit dem Unglück passierten, schienen ebenso unlöschbar, brannten weiter bis auf die Knochen. Mit Leib und Leben, Gut und Blut. Galt das auch für ihn?
    »Ich bitte Sie, Ernst, Sie dürfen mir nichts verschweigen. Diese Sache lässt mich nicht los, geben Sie mir die Möglichkeit, sie abzuschütteln. Was wissen Sie?«
    Weber nickte. »Also gut, Christoph. Carl Lohenkamp war Student der theologischen Fakultät. Ein kräftiger Bursche, kein Mann der Worte. Was er mit dem Geist nicht erfassen konnte, versuchte er, mit Fleiß wettzumachen. Doch oft fehlte ihm dafür die Geduld. Hatte er sich in eine Idee verbissen, wusste er sie mit Heftigkeit zu verteidigen. Und er schien sich mit einer Sache befasst zu haben, die ihn mehr und mehr beschäftigte. Er zog sich zurück, mied die Geselligkeit. Eines Abends sah ich ihn dann im Streit mit Albert Steinhäuser. Sie hatten mich nicht kommen hören, schrien sich an. Steinhäuser hatte wohl etwas, das Lohenkamp zurückverlangte.«
    »Sie sagten, Lohenkamp sei ein Hitzkopf.«
    »Ja, das war er, aber der Streit endete friedlich. Steinhäuser hatte auf ihn eingeredet. Ich verstand nicht, was er sagte, aber Lohenkamp beruhigte sich, lächelte sogar. Wenn ich recht überlege, passte diese Freundlichkeit gar nicht zu ihm, denn war er einmal erhitzt, kühlte er nicht so rasch ab.«
    »Und dann?«
    »Dann sind sie gegangen. Einmütig, wie es schien. Das war am Tag, bevor Lohenkamp Albert Steinhäuser erstach.«
    »Ich glaube«, sagte Hufeland vorsichtig und wählte die folgenden Worte mit Bedacht, »ich glaube, Carl Lohenkamp hat Albert Steinhäuser nicht aus dem Affekt heraus niedergestochen. Mir scheint, dass es geplant war.«
    Weber sah ihn aufmerksam an. »Erzählen Sie weiter.«
    »Als Steinhäuser am Boden lag, trat Lohenkamp noch einmal gegen den Körper, als wolle er sichergehen, dass kein Leben mehr in ihm steckt. Und dann begann er, die Taschen zu durchwühlen. Vielleicht hat er das gesucht, was er noch tags zuvor zurückverlangte.«
    |146| »Das wäre eine Erklärung.«
    »Aber er hat es nicht gefunden.« Hufeland stand wieder auf und begann, im Raum auf und ab zu gehen. »Dann kam Ludwig Gerstel, sank neben dem leblosen Körper nieder und schrie, es sei alles seine Schuld. Warum?«
    »Sagen Sie es mir.«
    »Ich weiß es nicht. Doch da ist noch etwas. Ich schenkte dem keine Beachtung, doch nun frage ich mich, inwieweit es etwas zu bedeuten hat. Als ich eines Tages verspätet zum Unterricht im Accouchierhaus erschien, stand Ludwig Gerstel in der Tür und beobachtete ein blutjunges Mädchen, das soeben entbunden hatte. Auf seiner Stirn stand der Schweiß, er fühlte sich offensichtlich unbehaglich. Das junge Mädchen hatte in seine Richtung gestarrt und geschrien.«
    »Sie glauben, dass es einen Zusammenhang gibt?«
    »Möglich. Aber sollte mir jemals etwas zustoßen, möchte ich, dass Sie es in diesem Zusammenhang sehen.«
    »Zustoßen?« Weber sah ihn entgeistert an. »Was meinen Sie damit?«
    »Jemand hat meine Kammer verwüstet«, antwortete er leise. »Man hat mir damit eine Warnung zukommen lassen, die ich nicht ignorieren sollte.«
    Sein Schwager nickte, und erst Jahre später erkannte Hufeland, dass Weber nur zu genau wusste, wovon er sprach. »Ich glaube, es ist besser, Sie bleiben eine Weile bei uns.«
     
    Ernst Adolph Weber betrachtete Hufelands Gesicht, dessen Züge selbst im Schlaf noch angestrengt wirkten. Er war so erschöpft gewesen, war eingeschlafen, kaum dass er sich hingelegt hatte. Er war blass, die dunklen Ränder unter den Augen zeugten von durchwachten Nächten.
    Weber strich ihm über Kopf, als wolle er damit auch sich selbst beruhigen. Doch es misslang. Der Junge war in allergrößter Gefahr. Er hatte Zusammenhänge erkannt, vor denen er selbst gern die Augen verschloss. Aus Furcht vor den Folgen.
    |147| Er hätte Christoph erzählen sollen, was er wusste, doch auch er hatte einen Eid schwören müssen, der ihn daran hinderte.
    In dieser Stadt gingen Dinge vor sich, die das Fundament des christlichen Miteinanders untergruben. Menschen bildeten sich ein, zu den Besseren zu gehören, gelehrter zu sein als die Philister. Und dennoch bedienten sie sich ihrer nach Lust und Laune, um aus grausamen Menschenversuchen ihre Erkenntnisse zu stricken,

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