Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
Fenster drang fahles Mondlicht und erhellte Schmutz und Elend, aus der Kochecke strömte der Gestank von Abfall und Verdorbenem. Sie verzog den Mund. Alles in ihr drängte danach, aufzuspringen und von diesem furchtbaren Ort zu fliehen. Aber wohin? Und wie? Nein, es blieb ihr nichts anderes übrig, als die Nacht abzuwarten. Morgen würde sie in aller Frühe weiterziehen.
Sie musste eingeschlafen sein. Ein kehliges Lachen ließ sie hochschrecken.
Else stand in der Tür, doch sie war nicht allein. Eine breite Gestalt, groß wie ein Schrank, beugte sich vor, vergrub das Gesicht zwischen ihren Brüsten. Das fahle Mondlicht schien auf seine nackten Beine, entblößte sein erigiertes Geschlecht.
Helene hielt den Atem an, doch der Mann hatte sie bereits bemerkt und starrte in ihre Richtung.
|153| »He, wen ham wa denn da?«, fragte er lallend.
»Die is nich für dir«, keifte Else. »Die is viel zu fein für son Kerl.« »Wat weeßt denn du schon?« Er trat näher ans Bett, sein Geschlecht wie eine Waffe vor sich tragend.
Helene entfuhr ein Schrei, sie kroch nach hinten und zog die Decke bis zum Gesicht.
»Det lass ma schön bleiben«, rief Else. »Die kannste jar nich bezahlen.«
»Wer redet denn von bezahlen!« Unbeirrt kam der Mann näher, sein Atem ging heftig. Helene rutschte gegen die Wand, doch er kletterte ihr nach, riss die Decke zur Seite.
»Na, das is ja mal ’n Zuckerpüppchen.« Sein Gesicht war jetzt ganz nahe. Er stank nach billigem Schnaps. »Komm her, zier dich nich so.«
Schon spürte sie das pralle Glied an ihrem Schoß. Er zerrte an ihrem Kleid, lachte hämisch. Sie schlug um sich, schrie. Doch er packte ihre Hände mit eisernem Griff.
»Verdammt, als ob icks jeahnt hätt«, schnaufte Else und zerrte hilflos an seiner Schulter.
Der Mann drehte sich um und schlug ihr mit Wucht ins Gesicht, woraufhin sie schreiend abließ. Dann drückte er Helene mit seinem Gewicht nach unten, riss an ihrem Unterrock, während er hart nach vorn stieß. Sie wand sich in panischer Angst, aber egal, wie sehr sie sich wehrte, er war stärker.
Ein dumpfes Geräusch ließ ihn plötzlich innehalten, er sackte in sich zusammen und blieb schwer auf ihr liegen. Über ihm Else, mit verzerrtem Blick, gleich einem Racheengel. Ihre drohend erhobenen Hände umklammerten etwas, das Helene im fahlen Licht als einen großen Ziegelstein erkannte. »Hab den immer unterm Bett liegen, für alle Fälle.« Sie legte den Stein auf den Boden und schob den Kerl zur Seite. »Is nicht schade drum, der ist zu besoffen, um sich später zu erinnern.« Sie kicherte. »Morjen früh hab ick och son Auge wie du. Mann, wie der jehauen hat!«
Helene setzte sich schluchzend auf. Der Gestank des Mannes schien an ihr zu kleben. Sie würgte.
|154| Else setzte sich zu ihr. »Alles in Ordnung?«, fragte sie. »Hat er …«
»Nein, nein …« Helene zog den Unterrock glatt und strich über ihr Kleid.
Else näherte sich, schnupperte. »Du riechst irgendwie …«
»Ja, ich weiß. Es ist grauenhaft.«
»Nee, ick mein nich den Jestank. Da is wat anderes. Wie Blumen.«
»Das ist Rosenwasser.«
»Oh. Ick hab seit Jahren keene Rose mehr jerochen. Kann ick det haben?«
»Es ist nur der Geruch auf dem Kleid. Das Fläschchen ist zerbrochen.« Helene zog die Knie an und starrte auf den neben ihr liegenden Mann. »Ich will weg hier«, flüsterte sie. »Was, wenn er wieder erwacht?«
Else überlegte. »Wenn du mir dein feines Kleid lässt, bring ick dir zu ’nem juten Freund. Der hat ’n Fuhrwerk und fährt jeden Tag damit aus der Stadt. Wenn du dem was anzubieten hast, nimmt er dir vielleicht mit.«
Als sie vor dem Haus standen, in dem Elses Freund wohnen sollte, wurde es bereits hell. Helene fror in ihrem alten Kleid, das dünner war als das feine Dienstmädchenkleid aus dickem Wollstoff.
Else wollte gerade an die Vordertür des Hauses klopfen, als das gemächliche Klappern von Hufen auf steinigem Boden erklang. Neben dem Gebäude öffnete sich knarrend das Tor zum Innenhof.
»Wir ham Jlück«, rief sie und ging auf den Mann zu, der nun die Flügel des Tores an der Mauer verankerte. Er war etwas älter als Else und trug einen dichten Bart.
»Else«, rief er erfreut. »Mann, siehst du schnieke aus!«
Sie drehte sich im Kreis. »Na, Jakob, jefällt dir mein neues Kleid?«
Er nickte lachend und sah dann zu Helene. »Wen haste da mitgebracht?«
»Dat isn janz armes Mädel. Kannste die ausse Stadt bringen?«
Er sah Helene stirnrunzelnd an.
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