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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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»Ohne Pass?«
    |155| »Ich habe einen Pass«, beeilte sich Helene zu sagen. »Nur …«
    »Verstehe. Haste Jeld?«
    »Wie viel?«
    Sie einigten sich auf zwei Taler und zehn Groschen. Jakob versprach, sie dafür unbehelligt an der Zollmauer vorbei aus der Stadt zu schmuggeln. Die Beamten würden ihn ohnehin durchwinken, so oft, wie sie ihn sahen. »Und in die Stadt rein ist schwieriger als aus der Stadt raus«, meinte er breit grinsend.
    Helene legte die Münzen in seine schmutzigen Hände, verabschiedete sich von Else und versteckte sich unter leeren Säcken auf der Ladefläche, zwischen schmutzigen Eimern und Holzkisten, die Reisetasche fest an ihre Brust gepresst. Dann, endlich, setzte sich der Wagen in Bewegung.
     
    Der Fuhrmann hatte sich geirrt. Vor Kälte und Aufregung zitternd, hatte Helene unter den Säcken verharrt, während er die Zollbeamten mit zotigen Scherzen bei Laune hielt. Die Peitsche knallte, das Fuhrwerk rollte mit einem Ruck an, als jemand laut über den Platz brüllte: »Halt! Sofort anhalten.«
    Helene erstarrte und presste sich auf den Boden der Ladefläche. Der Befehl wurde wiederholt, und der Wagen kam zum Stehen.
    »Was soll das, wieso lasst ihr den einfach fahren?«, bellte der Mann, der soeben gerufen hatte.
    »Der ist in Ordnung. Er kommt jeden Tag.«
    »Das ist mir egal. Hier wird jeder Wagen kontrolliert.«
    »Der ist neu, der macht es noch besonders streng«, hörte Helene den Zöllner sagen, mit dem Jakob zuvor gescherzt hatte.
    »Aber mach schnell, ich habe noch was auszuliefern.«
    Neben ihr bewegte sich etwas, dann hörte sie ein lautes Geräusch, wie ein Klopfen auf Holz. Erst, als etwas unsanft gegen ihre Seite gestoßen wurde, erkannte sie, dass jemand mit einem Stock den Inhalt der Ladefläche prüfte. Nun fuhr er ihr in die Rippen, und sie musste sich auf die Lippen beißen, um nicht laut aufzuschreien.
    »Was ist denn das?«
    |156| »Ein totes Schwein«, antwortete Jakob. »Nun lass mal, oder willst du dir das ansehen? Kein schöner Anblick, das kann ich dir sagen. Hat mir ein Kunde aufgezwungen, soll zurück zum Bauern, weil es schon verdorben riecht.« Er lachte heiser. »Du kannst ja mal dran schnuppern, Meister. Aber besser, du hältst dir dabei den Magen, sonst kann es sein, dass er dir davonläuft.« Nun brüllte er vor Lachen, und der andere stimmte mit ein.
    »Nee, ist in Ordnung. Das soll der Bauer schön selber machen.« Ein Klatschen drang an Helenes Ohr, und noch im selben Moment tat der Wagen einen Satz. Sie atmete aus. Die Fahrt ging weiter.
    Erst als Jakob ihr zurief, es sei überstanden, traute Helene sich, unter den Säcken hervorzukriechen.
    »Danke«, sagte sie. »Ich danke Ihnen sehr.«
    »Schon gut«, murmelte er, aber auch ihm war die Erleichterung anzusehen.
    Den Rest der Fahrt verbrachte sie neben ihm auf dem Kutschbock, frierend, in eine alte Decke gehüllt. Sie sah die Landschaft an sich vorbeiziehen. Vereinzelte Gehöfte, Hügelketten und Wälder, ein langgestreckter See. In einem Dorf liefen ihnen winkende Kinder nach, und sie winkte lachend zurück. Das Fuhrwerk ratterte über unebene Straßen und staubige Wege. Helene saß aufrecht, das Gesicht im Wind. Die Reise hätte ewig so weitergehen mögen. Mit jeder Meile, die sie fuhren, kamen sie Jena ein Stück näher.
    In Potsdam würde Jakob sie bei einer Poststation absetzen. Es waren nur noch wenige Tage, bis sie Albert wieder in die Arme schließen könnte.

|157| 12
JENA
ALLERHEILIGEN, 1. NOVEMBER 1780
    In der Nacht hatte Hufeland zu fiebern begonnen. Sein Gesicht glühte und war von Schweiß bedeckt, manchmal schrie er im Wahn. Gegen Morgen war seine Stirn so heiß, dass Weber beschloss, Professor Loder rufen zu lassen, einen langjährigen Freund seines Schwiegervaters und den einzigen Mann, dem er noch vertraute.
    Professor Loder setzte sich auf den Stuhl, auf dem Hannchen die ganze Nacht verbracht hatte, und erkundigte sich nach dem Verlauf der Erkrankung. Was der Junge am Abend gegessen habe, ob er sich nächtlichen Ausschweifungen hingegeben oder den Tag im eiskalten Wind verbracht habe. Weber gab Auskunft, während Loder seine Hand auf Hufelands Stirn legte, schließlich den Kopf schüttelte und Hannchen anwies, ihm eiskaltes Wasser zu bringen und einige Tücher.
    Schließlich konnte Weber seine Besorgnis nicht länger zurückhalten. »Wie geht es ihm, was hat er?«
    »Ein schweres Nervenfieber, das mit einem Übermaß fauler Stoffe in den Säften einhergeht«, erklärte Loder leise.

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