Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
»Der Stoffwechsel ist erhöht, und die Reibung erhitzt die Gefäße. Sein Körper ist bereits sehr geschwächt. Ich werde ihm ein Brechmittel verabreichen, um die Stoffe auszuleiten, und zur Stärkung ein wenig Chinin. Doch ich meine, dass noch etwas anderes an ihm zerrt.«
Loder stand auf und nahm Weber beiseite.
»Mir scheint, als ringe er im Geiste mit etwas«, flüsterte er und sah hinüber zu Hufeland, der nun die Decke von sich riss und mit verzerrtem Gesicht zu wimmern begann. »Ich befürchte beinahe, dass dies der wahre Grund für seine Schwäche ist, die es der Krankheit erlaubt, einen derart heftigen Krieg gegen den Körper zu führen.«
|158| »Sie meinen …«
»Das scheint mir ein Fall für Ihr Fachgebiet zu sein, verehrter Kollege«, fuhr Loder mit ernster Stimme fort, »das Gebiet der Theologie.«
Weber betrachtete seinen Schwager, dessen Atem nun wieder etwas ruhiger ging, begleitet von regelmäßigen Schnarchlauten.
Hannchen trat ein, in der einen Hand einen Wasserkrug, in der anderen zwei Tücher. Loder wies sie an, mit dem eiskalten Wasser Stirn und Körper abzureiben, dann folgte er Webers Wink aus dem Zimmer.
Sie setzten sich in die Stube. Im Ofen flackerte ein lebhaftes Feuer und verbreitete behagliche Wärme. An jedem anderen Tag hätte Weber sich daran erfreut, heute aber wäre selbst ein vor Kälte starrender Raum seiner Aufmerksamkeit entgangen.
»Ich muss Ihnen widersprechen«, setzte er das Gespräch fort. »Der Glaube an Gott und der Versuch, das Böse durchs Gebet zu vertreiben, mag in manchen Fällen hilfreich erscheinen, hier ist die Ursache wohl anderer Natur.« Er rieb sein Kinn, unsicher, wie offen er mit Loder sprechen sollte.
»Sie zittern ja«, stellte Loder unterdessen fest. »Ist seine Erkrankung auch auf Sie übergesprungen?«
Weber tat diese Vermutung kopfschüttelnd ab, stand auf und öffnete die Ofenklappe, legte einen Scheit nach und war sich der Nutzlosigkeit seiner Handlung bewusst. Wie auch sollte man mit Wärme ein Zittern stillen, das von der Seele kam?
»Ich hoffe, ich kann im Vertrauen sprechen?«
»Selbstverständlich.«
»Ich muss gestehen, dass ich mit meiner Weisheit am Ende bin«, begann Weber, als er sich wieder gesetzt hatte. Er rang nach Worten, fuhr dann leise fort. »Ich kann meinem Schwager Trost spenden und ihn der Weisheit Gottes überantworten, aber die Dämonen, die ihn martern, sind realer Natur, bedrohen seinen Leib und seine Seele. Jetzt, da Sie hier sind, erkenne ich, dass ich mein Wissen nicht für mich behalten darf, um dem Grauen endlich ein Ende zu bereiten.«
|159| Mit wohlbedachten Worten begann Weber zu erzählen. Von einer Verbindung, die sich der Wissenschaft verschrieben zu haben schien, sich aber Methoden bediente, die Menschenleben gefährdeten. Von Burschen, die man aufs Übelste bedrohte, wenn sie ihre Bedenken laut äußerten. Er begann vorsichtig, blieb vage, lauerte auf Loders Reaktion. »Es ist an der Zeit, jenen Orden, der im Dunkeln unserer Stadt arbeitet und Schaden über die Bewohner bringt, endlich an seinem grausigen Tun zu hindern«, schloss er. »Geheime Verbindungen werden von der Universität geduldet, aber man erwartet dort ausschließlich Diskussionen über wissenschaftliche Belange und, ja, zuweilen auch Burschen, die über die Stränge schlagen. Aber ganz sicher keine blutigen Exzesse im Namen der Medizin.«
Loder hatte aufmerksam zugehört. Nun runzelte er die Stirn. »Woher wissen Sie von diesen Dingen?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen, ohne mein Schweigegelöbnis zu brechen.«
»Und Sie denken, Christoph sei Teil einer solchen Verbindung?« »Ich weiß es nicht. Es ist aber offenkundig, dass er auf irgendeine Art darin verstrickt ist.« Das verwüstete Zimmer, die eingeritzte Drohung, die Blutspur in Form einer Schlange. Weber schüttelte den Kopf, als könne er damit auch die Sorge abschütteln, die bei der Erinnerung daran übermächtig wurde.
Loder atmete tief durch. »Ich habe seinem Vater versprochen, gut auf ihn achtzugeben. In diesem Punkt habe ich wohl versagt.« Er rieb sich das Kinn und gerade, als Weber glaubte, das Gespräch sei wohl beendet, fuhr er fort: »Das Jena unserer Tage ist verdorben und roh. Als sei die Sittsamkeit ein kleinstädtischer Makel, den man mit Saufen, Huren und Schlagen austreiben müsse. Es gibt Dutzende Verbindungen, denen sich die Studenten anschließen. Landsmannschaften, Tischgesellschaften, Studentenorden. Einzig die Freimaurerei ist seit Johnssens
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