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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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und war der festen Überzeugung, mit dieser Methode einen Teil der Seele zu übertragen.«
    |162| »Und nun glauben sie nicht, die Seele zu übertragen, sondern die Jugend.« Weber schüttelte den Kopf. »Sie verwenden kein Tierblut. Sie verwenden das Blut junger Mädchen.«
    »Eine Transfusion von Mensch zu Mensch?« Loder sog die Luft ein. Nun endlich schien er die Zusammenhänge zu sehen, die Weber vorher nur vage angedeutet hatte. »Dem Blut wohnen Heil- und Zauberkräfte inne, das ist unzweifelhaft. Aber ich bin sicher, Professor Gruner würde es nicht wagen, sich über die Natur zu erheben und zu versuchen, Gott zu spielen.«
    »Aber genau das geschieht in dieser Stadt und noch viel mehr. Man experimentiert mit allerhand Methoden, um das Leben zu verlängern. Die Transfusion ist wohl nur eine von vielen, und sie wird unter Ritualen vollzogen, bei denen nicht nur Blut zu fließen scheint. Dieses Treiben ist gottlos, und wir können nicht länger zusehen, wie sich diese Verbindung stolz über den Willen Gottes erhebt, ohne Achtung vor der menschlichen Seele.«
    Er berichtete von seinen Spaziergängen über den Friedhof und von den Todesfällen, die sich in den vergangenen Monaten gehäuft hatten, ohne dass eine Seuche gewütet hätte. »Ich halte es für besser, eine Untersuchung einzuleiten, um Gewissheit zu erlangen. Denn sollte mein Verdacht sich bestätigen, haben wir es mit einer äußerst gefährlichen Verbindung zu tun.«
    Loder nickte langsam. Er schwieg und sah zum Fenster hinaus. Als er zu sprechen begann, klang seine Stimme belegt. »Sie haben recht, wir sollten dem nachgehen. In der Medizin wurde bereits viel zu viel experimentiert, auch wenn ich Kollegen kenne, die weit schlimmere Dinge an Patienten vollführen. Der Weg der Wissenschaft fordert zuweilen Opfer, doch man sollte dabei seinen ärztlichen Auftrag niemals aus den Augen verlieren. Ich werde mit dem Prorektor sprechen.«
    Weber schüttelte den Kopf. »Wir sollten es der obersten Polizeibehörde in Weimar melden, verehrter Kollege. Diese Verbindung ist mir unheimlich. Und ich befürchte, sie wird eine bloße Zurechtweisung seitens des Prorektors belächeln und mit den schlimmsten Angriffen ahnden.«
    |163| Loder sah ihn mit seltsamem Ausdruck an. »Ich möchte Sie bitten, die Sache noch eine Weile für sich zu behalten«, sagte er. »Professor Gruner ist kein Verbrecher, es muss eine andere Erklärung geben. Ich werde noch einmal in mich gehen und die Sache überdenken. Der nächste Schritt sollte sorgfältig geplant sein. Aber Sie können sich darauf verlassen, dass ich in dieser Angelegenheit an Ihrer Seite stehe.« Er stand auf. »Was Christoph angeht, so hoffe ich, dass Sie ihm mit theologischer Weisheit Kraft spenden können. Ich werde ihm nun das Brechmittel verabreichen.«
    Weber erhob sich ebenfalls, nickte ihm wortlos zu und sah ihm nach, bis er im dunklen Flur verschwand.
    Etwas hatte ihn davon abgehalten, Professor Loder von seinem Vorhaben zu berichten, Christoph zurück nach Weimar zu schicken. Vielleicht, dachte er, während er die Ofenklappe öffnete, irrte er sich, vielleicht wäre es besser gewesen, alles zu erzählen.
    Erschöpft setzte er sich wieder auf seinen Stuhl und blickte in die prasselnden Flammen. »Gott ist wie Feuer«, flüsterte er. »In seiner Herrlichkeit und Liebe, in seinem Zorn.« Und während ihm die Augen zufielen, dachte er daran, dass Gott am heutigen Tage der Heiligen gewiss ein sorgsames Auge auf Jena werfen würde.
     
    Studenten und Bürger, Männer, Frauen und Kinder, Gläubige wie Ungläubige strömten in die Michaeliskirche. Noch vor wenigen Jahren, als Jena als Hochburg der universitären Bildung gegolten hatte, war sie zu Feierlichkeiten bis auf den letzten Platz besetzt gewesen, einige hatten gar stehen müssen. In diesem Jahr aber drängten sich die Menschen auf den vorderen Rängen, und zum Eingang hin lichteten sich die Reihen.
    Die kühle Luft, die vom Portal herströmte, trug einen Teppich leiser Geräusche. Gedämpftes Gemurmel mischte sich mit den freudigen Begrüßungen und dem munteren Austausch derjenigen, die bereits Platz genommen hatten.
    Ernst Adolph Weber blieb im Eingang stehen und betrachtete das hallenartige, gut hundertvierzig Fuß lange Mittelschiff, das in seiner Größe die Menschen zu verschlucken schien.
    |164| Hunderte Kerzen waren zum Gedenken der Heiligen entzündet und erhellten flackernd den mächtigen spätgotischen Bau. Das Licht erstreckte sich vom Altar über

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