Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
Verhaftung verboten. Gewiss, einige haben es sich zur Aufgabe gemacht, den Gesetzen und der Moral zu trotzen. Die meisten aber sind wohl harmlos. Sie treffen sich, um zu debattieren oder um zu fechten.« Er wiegte den Kopf. »Es wundert mich, dass mir eine Verbindung, die sich den medizinischen |160| Wissenschaften widmet, nicht bekannt ist. Ich selbst leite in meinem Haus regelmäßige Treffen, um mit meinen Studenten über die Neuerungen der Medizin zu debattieren, und weiß auch, dass Professor Gruner eine solche Gesellschaft führt, in die er nur ausgewählte Studenten lädt. Sie nennen sich Custodes scientiae, ›Bewahrer des Wissens‹, doch ich meine, der Schatz, den sie zu hüten vorgeben, ist weniger spektakulär, als es den Anschein hat. Wie Sie wissen, ist er ein begeisterter Verfechter antiker Heilmethoden, sie werden dort wohl die alten Gelehrten lesen. Allerdings war ich vor kurzem Zeuge einer eigenartigen Szene. Ich war im Nebenraum des Hörsaals, um meinen Unterricht vorzubereiten, als ich hörte, wie Professor Gruner einem der Burschen dieser Gesellschaft ganz gehörig den Kopf stutzte. Es sei eine Schande, dass sich aus der hoffnungsvollsten Bastion der Wissenschaft eine Horde von Jungspunden entwickelt habe, die sich lieber dem abscheulichsten Amüsement hingäbe als der Forschung.«
»Sie meinen, die Verbindung, von der ich sprach, untersteht seiner Leitung?«
Loder hob abwehrend die Hände. »Das will ich nicht behaupten. Ich möchte ungern einen falschen Eindruck erwecken. Es wäre fatal, ihm etwas zu unterstellen, nur weil ich etwas missverstanden habe. Im Nachhinein war es vielleicht nur eine der üblichen Ermahnungen, die wir den Studenten regelmäßig zukommen lassen, wenn sie es mit ihren nächtlichen Ausflügen in die Gaststätten der Stadt übertreiben.«
»Es würde mich allerdings nicht erstaunen«, überlegte Weber laut, »wenn es einen Zusammenhang zwischen Gruner und einer solchen Verbindung gäbe. Er ist schon häufiger als eigensinniger Denker aufgefallen. Zudem ist das, was die Verbindung für ihre Zwecke nutzt, ebenfalls Teil antiker Methodik, das älteste Beispiel für Versuche dieser Art ist wohl König David.« Weber stützte seinen Kopf in die Hände und atmete schwer. »Wenn es jedoch so ist, müssen wir den Professor anzeigen. Denn das, was diese Verbindung im Namen der Wissenschaft treibt, ist nichts anderes als Mord.«
»Mord? Um Himmels willen, Sie gehen zu weit!« Loder schien |161| ehrlich erschrocken. »Sie ereifern sich in Spekulationen. Lieber Kollege, seien Sie vorsichtig mit Ihren Vermutungen, Ihre Schilderung kann diesen Vorwurf in nichts bestätigen. Ich gehe davon aus, dass die Studenten in dieser Verbindung ihre neu erworbenen Künste an Patienten üben, die sich keinen Arzt leisten können. Manche von ihnen sind alt und sterben, ob mit oder ohne ärztliche Kunst.« Nun lächelte er. »Wie Sie wissen, habe ich ein eher schwieriges Verhältnis zu meinem Kollegen Gruner. Aber er ist ein integrer Mann. Was Sie mit dem Beispiel des biblischen König David andeuteten, ist eine weitverbreitete Methode, derer man sich in alten Zeiten bediente, um das Leben zu verlängern. Man war der Auffassung, einen alten Körper allein durch die Gegenwart junger Mädchen zu verjüngen. Man ließ alte Männer zwischen kleinen Mädchen schlafen oder sie von ihrem Atem anhauchen, im Glauben, es würde Außerordentliches zur Stärkung und Erhaltung der Lebenskräfte beitragen. Gewiss, Gruner mag eigentümliche Ansichten haben, wenn es um antike Medizinmethoden geht, aber ich kann Ihnen versichern, dass er in seiner Arbeit stets sehr sorgfältig vorgeht. Glauben Sie mir, es ist sicher nichts Unrechtes, was dort geschieht.«
»Ich habe Ihnen noch nicht alles erzählt.« Weber seufzte. Die Wahrheit. »Ich sprach nicht von harmlosen Experimenten, bei denen junge Mädchen neben alte Männer gelegt werden. Ich sprach von Bluttransfusionen.«
»Bluttransfusionen?«
»Ja, Bluttransfusionen.«
»Lieber Ernst, nun glaube ich doch, dass Sie sich täuschen. Lassen Sie mich aufklären und versuchen, Sie zu beruhigen. Aus Ihnen spricht die Stimme eines medizinischen Laien. Die Bluttransfusion ist nichts Neuartiges. Man hat es mit dem Blut von Lämmern versucht und mit Kälbern, doch gingen diese Experimente nach anfänglichen Erfolgen zumeist tödlich aus, und so nahm man davon Abstand. Man vermutete früher sogar, einen aufgebrachten Geist mit dem Blut sanfter Lämmer beruhigen zu können,
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