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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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die unzähligen Bankreihen bis hin zum kunstvoll gearbeiteten, von zwölf achteckigen Pfeilern getragenen Rippengewölbe, das sich gleich einer himmlischen Verheißung über den Köpfen der Gläubigen erstreckte. Weber atmete tief ein und überließ sich einem ehrfürchtigen Schauder. Wenn Gott hier nicht anwesend war, wo dann?
    Doch dann hielt er inne. In einem der hinteren Ränge entdeckte er Professor Gruner, der keinen Hehl daraus machte, dass er diesem Gottesdienst lieber ferngeblieben wäre. Er lehnte sich zurück, mit hinter dem Kopf verschränkten Armen, und schien sich über jemanden weiter vorn lustig zu machen. Um ihn herum saßen einige junge Studenten, die jedes Wort mit einem beifälligen Lächeln quittierten. Weber erkannte Johann Vogt, den hageren Martin Ebeling und zwei weitere Studenten der Medizin, deren Namen er nicht wusste.
    Gerade als er seinen Weg zu den vorderen Reihen fortsetzen wollte, drehte Gruner plötzlich seinen Kopf und sah ihn an.
    »Guten Morgen, Professor Weber«, rief er laut.
    »Guten Morgen, Professor Gruner.«
    »Sie kommen allein? Geht es Ihrer Frau nicht gut?« Seine Lippen waren geschürzt, wie immer, wenn er dazu ansetzte, jemanden mit einer abfälligen Bemerkung zu bedenken.
    Die Gespräche um sie herum schienen zu verstummen. Alle Augen waren nunmehr auf die beiden Professoren gerichtet. Der eine spitzzüngig und mit mächtiger Statur, der andere sanft und schmal, nicht viel älter als die Studenten.
    Weber atmete tief ein und ließ sich seinen Unmut nicht anmerken. »Danke der Nachfrage, lieber Kollege, aber sie fühlt sich in der Tat nicht wohl.«
    »Oh, das tut mir aufrichtig leid. Ja, wenn der Wind auffrischt, ist es am Ofen angenehmer als in der zugigen Kirche. Da mag sich manch einer die abenteuerlichsten Behauptungen erdenken, um den Fuß nicht vor die Tür zu setzen. Ich wäre auch lieber zu Hause geblieben.«
    |165| »Nun, ich weiß Ihre Anteilnahme wohl zu schätzen, aber sie erscheint mir hier fehl am Platz. Denn wie Sie sicher wissen, ist meine Gattin in freudiger Erwartung.«
    Gruners Mund verzog sich zu einem säuerlichen Lächeln. »Oh, das habe ich nicht gewusst. Ich nehme an, sie gehört nicht zu den Frauen, die in diesem Zustand allzu sehr kränkeln?«
    Weber überhörte die Spitze, nickte ihm höflich zu, ging rasch weiter, grüßte einen seiner Studenten, dann den Kollegen Griesbach, den ersten Theologieprofessor, dessen kritisch aufklärende Theologie ihm größte Bewunderung abrang.
    Gruners Blicke schienen sich ihm in den Nacken zu bohren. In seiner überheblichen, sarkastischen Art sezierte er alles, was seine Aufmerksamkeit erregte. Warum aber hatte er Hannchens Abwesenheit als Ziel spitzer Bemerkungen gewählt? Wusste er, dass sie über ihren kranken Bruder wachte? Sollte er lieber zurück nach Hause eilen?
    Nein, er musste jetzt einen kühlen Kopf bewahren und durfte der Furcht keinen Raum geben. Sich nichts anmerken lassen.
    Webers Herz pochte. Der Verdacht, der Professor der Medizingeschichte stehe womöglich der obskuren Verbindung vor, die sich als studentische Tischgesellschaft tarnte, löste tiefes Unbehagen in ihm aus. Langsam ging er weiter.
    »Professor Weber?«
    Er drehte sich um. Johann Vogt war aus der Bankreihe getreten und lief ihm jetzt nach.
    »Professor Weber, warten Sie bitte.« Vogt blieb nahe bei Weber stehen, so dass der seinen Atem spürte, und sah ihn mit durchdringenden Augen an. »Ich vermisse Christoph, bereits seit dem gestrigen Tage. Wissen Sie, wo er ist?«
    »Nun …« Weber trat einen Schritt zurück und sah Vogt prüfend an. Sein Gesicht wirkte beinahe erwachsen, mit harten Zügen und einem stets leicht überheblichen Blick, der jetzt allerdings ehrliche Sorge auszudrücken schien. Was sollte er diesem Burschen antworten? »Es geht ihm gut.«
    »Gut?«, fragte Vogt mit einem Ausdruck des Erstaunens. »Wie kann es ihm gut gehen! Als ich ihn das letzte Mal traf, war er gerade |166| Opfer eines schlechten Scherzes geworden. Gewiss, es kommt vor, dass Studenten sich Burschen anderer Landsmannschaften aussuchen, um an ihnen ein Exempel zu statuieren. Sie schlagen Scheiben ein oder verwüsten Zimmer. Aber haben Sie gesehen, was sie mit Christophs Kammer angestellt haben?«
    Weber nickte langsam, rang um eine Antwort. Wollte der Junge ihm weismachen, er sei von den Vorfällen überrascht, als wisse er nicht, wer sie verursacht hatte? War nicht auch er, der Gruner so offensichtlich anhimmelte, Teil dieser Verbindung?
    Als

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