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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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gewordenen Kleid mit angesetzten Samtborten. In der Hand eine Reisetasche, die sie fest an sich gepresst hielt. Sie war keine Schönheit, dafür war das Gesicht zu breit, die Wangenknochen zu hoch. Die großen Augen zu weit auseinander. Trotz allem umgab sie etwas, dass er nicht davon lassen konnte, sie anzusehen. Einen Moment lang glaubte er sogar, in ihr jemand Bekanntes zu sehen, vielleicht aus seiner Jugend in Weimar. Doch ihm wollte nicht einfallen, zu welcher Gelegenheit er ihr bereits begegnet sein mochte.
    |178| Die junge Frau schien seinen Blick zu bemerken und sah überrascht auf. Blaue Augen. Kristallklar. Hufeland fand sich ertappt, und das Blut schoss ihm ins Gesicht.
    Das Gepäck wurde entladen, die Pferde ausgespannt und neue geholt. Hufeland beobachtete, wie das Mädchen auf einen Mann zuging und ihn etwas fragte. Doch dieser schüttelte nur den Kopf und ließ sie stehen.
    Vielleicht braucht sie Hilfe, dachte er und trat an sie heran. »Entschuldigen Sie«, sagte er und wusste plötzlich nicht, wie er beginnen sollte. »Kann ich Ihnen eventuell …«
    Sie nickte. »Ich suche meinen Bruder. Er hat sein Zimmer in einem Wohnhaus am Fürstengraben. Können Sie mir sagen, wie ich dorthin gelange?«
    Hufeland wies ihr den Weg, und gerade, als sie sich umdrehen wollte, überkam ihn eine schreckliche Erkenntnis. Plötzlich wusste er, an wen ihn dieses Gesicht erinnerte. »Verzeihen Sie mir, wenn ich aufdringlich erscheinen sollte, aber Sie kommen mir bekannt vor. Kann es sein, dass ich Ihren Bruder kenne?«
    »Das ist gut möglich, die Stadt scheint ja sehr klein. Er heißt Albert Steinhäuser und ist Student der Medizin.«
    Sein Mund öffnete sich, er brachte kein Wort heraus. Er räusperte sich und stellte sich dann vor. »Ich kenne Albert«, sagte er mit heiserer Stimme.
    »Oh, dann sind Sie ein Freund von ihm?« Es klang höflich. Sie wippte auf der Stelle, als könne sie es gar nicht erwarten, endlich zu ihrem Bruder zu gelangen.
    Der Postillion mahnte zum Aufbruch. Wind kam auf, fegte mit plötzlicher Kraft durch die Straßen, wirbelte welke Kohlblätter auf, die vom Markt am Morgen liegen geblieben waren. Dann fielen erste Tropfen, benetzten das blonde Haar, rannen über ihre blassen Wangen. Was sollte er sagen? Dass Albert tot war? War er es denn wirklich?
    Ein zaghaftes Räuspern holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Hannchen sah ihn verwundert an, dann blickte sie auf die junge Frau.
    |179| »Das ist Helene Steinhäuser«, sagte Hufeland mit tonloser Stimme. »Sie möchte zu ihrem Bruder Albert.«
    Hannchen sog die Luft ein. »Ich bin Johanne Weber«, sagte sie. Dann winkte sie mit steifer Geste ihren Mann zu sich. »Ernst, bitte, kannst du dich dieser jungen Dame annehmen?«
    Weber trat hinzu und erblasste, als Hannchen ihm erzählte, wer das Mädchen war. »Mein Name ist Ernst Adolph Weber, Theologieprofessor an der Salana. Ich werde mich um Sie kümmern«, versprach er.
    Die Augen der jungen Frau weiteten sich, ihr Gesicht wirkte plötzlich eingefallen und schmal. »Was ist mit Albert? Komme ich zu spät?«
    »Ich fürchte, ja …«
    Der Regen mischte sich mit ihren Tränen. Hufeland trat einen unbeholfenen Schritt auf sie zu, die linke Hand in der Hosentasche. Helene mochte so alt sein wie seine beiden jüngeren Schwestern. Wie gern hätte er sie tröstend in den Arm genommen. Gesagt, dass alles gut werde. Am liebsten würde er bleiben, ihr beistehen, alles in Ordnung bringen. Für diese junge Frau und auch für ihn selbst.
    Weber schien seine Gedanken zu erraten. Er schüttelte betont langsam den Kopf. »Ich kümmere mich um sie«, raunte er. »Sie bleiben bei Hannchen.«
    Der Postillion blies in sein Horn, sah ungeduldig zu ihnen herüber. »Sind Sie taub?«, brüllte er. »Steigen Sie ein, wenn Sie mitwollen!«
    »Alles Gute, Fräulein Steinhäuser.« Hufeland ergriff ihre Hand, ließ sie einen Moment in seiner verweilen, hauchte dann einen Handkuss.
    Als die Kutsche endlich anfuhr, lehnte er sich aus dem Fenster und blickte zurück, bis Helene aus seinem Sichtfeld verschwand.
     
    Dies war also die Stadt, in der Albert seine letzten Tage verbracht hatte. Mehrstöckige Häuser mit Gauben und kleinen Türmchen, unebenes Pflaster, Stadtmauern, umgeben von hohen, winterkahlen Bergen, einige von ihnen bereits mit Schnee bedeckt.
    |180| Der Regen nahm zu, prasselte kalt auf ihre Haut, kleinen Nadeln gleich. Trotzig hielt Helene ihm ihr Gesicht entgegen, während sie dem Theologieprofessor folgte.

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