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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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zunehmende Dunkelheit zu erhellen.
    Helene teilte den Eierkuchen und vertrieb die Schwermut mit der Hoffnung, ihr Vater würde kommen, um Alberts Grab zu sehen und sie dann zurück nach Königsberg zu nehmen. Denn, so absurd es nach ihrer mühevollen Flucht aus der Heimat auch war: Sie wollte zurück.
    Am Nebentisch wurde das gute Bier dieser Stube gepriesen, es entbrannte eine laute Diskussion, welches in dieser Gegend das beste sei, Klatsch, Maultier oder Dorfteufel. Schließlich kam man überein, dass nichts besser sei als das Menschenfett, das stärkste von allen, von dem man behauptete, das Brauwasser sei hierfür unter dem Friedhof durchgeflossen. Dann gab es einen brüllend geäußerten Trinkspruch, und während alle das Glas ansetzten, war es still, beinahe andächtig.
    Helene stieß die Gabel in das Essen auf ihrem Teller und stocherte darin herum. So bemerkte sie den Burschen erst, als er direkt vor ihr stand.
    »Na, Mädchen, was machst du denn so alleine in dieser gastlichen Stube?«
    |185| Helene sah auf und blickte in ein Paar grauer Augen. Der junge Mann war groß und hager, mit grobem Gesicht und schmalen Lippen. Er setzte sich ihr gegenüber, rekelte sich auf seinem Stuhl und sah sie unverwandt an. »Du bist sehr hübsch.«
    Helene senkte den Kopf, starrte auf ihren Teller und begann, eine verbrannte Stelle vom Eierkuchen abzuschaben. Doch der Mann blieb sitzen und hörte nicht auf, sie anzusehen.
    »Mein Name ist Martin Ebeling. Student der Medizin. Ich habe dich hier noch nie gesehen.« Seine Augen hielt er halb geschlossen, ein eitles Lächeln umspielte den Mund. »Wenn du willst, dann zeige ich dir die Stadt.«
    Draußen peitschte der Regen an die Scheiben. Sie dachte, sie würde ihn vielleicht noch reizen, wenn sie nicht antwortete, und nannte ihren Namen. Knapp und ohne aufzublicken. Und sie wünschte sich, er würde gehen und sie in ihrem Unglück allein lassen.
    »Steinhäuser? Doch nicht etwa … Bist du seine Schwester?« Er sah sie abschätzend an. Sie nickte, sofort drehte er sich zum Nebentisch. »Habt ihr gehört? Das ist Alberts Schwester!«
    Ein Johlen erhob sich, bis sich einer von ihnen erbarmte, ihr zur Seite zu springen. »Lass es, Martin«, rief er. »Das ist pietätlos!«
    »Oh, pietätlos also. Hört, hört, hier spricht Alberts Freund!« Ebeling machte eine gezierte Bewegung und schritt unter dem Gelächter der anderen mit in die Hüfte gestelltem Arm auf und ab.
    »Du wirst mich nicht reizen«, sagte der andere Mann gepresst, wischte sich mit einem Tuch das Bier von den Lippen und zeigte auf Helene, die, den Rücken fest an die Banklehne gedrückt, erschrocken die Szene verfolgte. »Siehst du nicht, was du anrichtest?«
    Er stand auf, schob Ebeling zur Seite und verbeugte sich vor Helene. »Hat mein Kommilitone Sie belästigt?«
    »Keinesfalls«, sagte Helene. »Ich wollte sowieso gerade gehen.«
    »Wirklich? Das ist schade. Ich hätte Alberts Schwester gern näher kennengelernt.«
    Sie zögerte und strich sich das Haar aus dem Gesicht. »Sie kannten Albert gut?«
    |186| »Ja, sehr gut sogar!« Ein Strahlen glitt über sein Gesicht. Er machte eine Kopfbewegung zum Nebentisch. »Martin war nicht gut auf Albert zu sprechen. Sehen Sie es ihm nach, er kann ein ziemlicher Dummkopf sein. Gestatten Sie, dass ich mich zu Ihnen setze?«
    Sie nickte. Er nahm neben ihr Platz und stellte sich als Johann Vogt vor. »Ist die Familie nach Jena gekommen, um ihn nach Hause zu holen?«
    »Nach Hause?« Sie stutzte, begriff erst einen Moment später. »Ach, seinen Leichnam. Nein, ich habe erst heute davon erfahren.« Sie schluckte. »Ich bin gekommen, um ihn zu besuchen. Allein.«
    Sein Lächeln verschwand. »Großer Gott!«
    Nun brachen die Tränen wieder hervor. Ihr Körper zitterte, während sie um Fassung rang. Er setzte sich ganz dicht neben sie, und als er seinen Arm um ihre Schultern legte, sprang sie auf und funkelte ihn an.
    »Entschuldigung«, murmelte er. »Ich wollte nicht …«
    Vielleicht war es seine ehrliche Bestürzung, die sie durch einen Tränenschleier lächeln ließ. Vielleicht war es auch die Tatsache, dass er Albert gut gekannt zu haben schien.
    »Nein, ich habe mich zu entschuldigen. Ich sollte Sie nicht mit meiner Trauer belasten.«
    »Mich belasten? Liebe Güte, nein. Albert war mein Freund. Sein Tod hat mich zutiefst erschüttert.«
    »Waren Sie Zeuge? Erzählen Sie mir, was sich zugetragen hat.« Sie setzte sich wieder. Mit gespannten Muskeln, bereit aufzuspringen,

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