Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
die ungeheure Kraft dieser Tinktur erkannt?
Mit den verbleibenden Tropfen hatte er zu forschen begonnen. |173| Fand seine Vermutung bestätigt. Merkurielle Feuchtigkeit verband sich mit der sulfurischen Fettigkeit und dem metallischen Salz zur Dreieinigkeit, dem Ursprung des Lebens. War vielleicht auf der Fahrt vom Konvent zurück nach Königsberg etwas geschehen, das eine Reaktion in dem Fläschchen ausgelöst hatte, das die Elemente verband und die Seele des Salzes freigab? Denn wie sonst sollte man erklären, dass die Abgesandten der Logen die Wirkung der Tinktur nicht erkannt hatten?
Sal, das Salz, war zu Sol geworden, der Sonne, dem Licht mit ebendieser kraftvollen Energie. Der Energie des wahren Lebenselixiers, des Lapis Philosophorum, des arkanischen Salzes!
Doch sosehr ihn diese Erkenntnis begeisterte, bevor noch der letzte Tropfen verbraucht war, wusste er, dass er ohne die Rezeptur niemals in der Lage wäre, selbst eine solch vollkommene Mixtur herzustellen.
Es war nur eine Vermutung, ein kleiner Hoffnungsschimmer gewesen, dass die Rezeptur noch existierte. Der Großprior musste doch vorgesorgt haben, sollte ihm etwas zustoßen. Hatte er seinen verschworenen Anhängern, den Jenaer Wissenschaftlern und Naturforschern, etwas hinterlassen, um sein Erbe fortzuführen?
In der Loge hatte man indes nichts von der Kraft, die Johnssen zu beherrschen vermochte, geahnt. Im Gegenteil. Man machte sich über den Großprior und seinen erbärmlichen Versuch, an der Macht zu bleiben, lustig. Nun, beide Abgesandten seien auch ohne ihn zum Tempelritter geschlagen worden, denn Johnssens Heermeister Freiherr von Hund verfügte über Dokumente, die seine eigene Aufnahme in den Tempelherrenorden am Pariser Hof bestätigten und ihn damit befähigten, den neuen Ordensverband zu leiten.
Sie taten groß und nannten sich nun Tempelritter, Hüter der alten Mysterien. Formten einen geheimen Orden, der im Verborgenen arbeitete und sich hinter der Maske eines Freimaurerordens verschanzte, der in alter Tradition für humanitäre Ideale eintrat. Aber Steinhäuser erkannte rasch, dass sie sich an eine neue Struktur klammerten, ohne über jene Macht und jenes Wissen zu verfügen, die sie mit dem Großprior Johnssen in den Kerker gesperrt |174| hatten. Der innere Kreis, den sie nun zelebrierten und mit dem sie sich über die alte Freimaurerei erheben wollten, blieb eine leere Hülle. Die Rituale, die sie abhielten, die Erkenntnisse der Alchemie, auf die sie sich beriefen, waren reine Spielereien. Sie ahnten nichts vom wahren Sinn und der Macht hinter Symbolen und Bildern. Stattdessen marschierten sie als altertümlich gewandete Ritter eines Narrentheaters ohne Regisseur.
Johnssen hingegen, den man auf der Flucht durch Deutschland in Preußen stellte und im Kerker der Wartburg verenden ließ, war kein Betrüger, sondern Opfer von Intrigen, dessen war sich Steinhäuser sicher. Großprior Johnssen war der Hüter des wahren Wissens, und er war verraten worden, weil er es nicht weitergeben wollte.
Das war nun mehr als ein Jahrzehnt her. Inzwischen hatte sich in Königsberg eine weitere Loge gegründet,
Zum Todtenkopfe
, die der alten Loge auf unangenehmste Weise Konkurrenz zu machen suchte. Und der auch Meschkat angehörte.
Friedrich Steinhäuser schüttelte energisch den Kopf. Seine Augen brannten, die Lider schwollen zu. Er wischte Tränen von den glühenden Wangen, während sein Blick auf der Tür zum Laborraum ruhte. Und nun wollte ausgerechnet Meschkat, Meister eines an Profanität nicht zu überbietenden Ordens, seine alchemistischen und heilenden Mittel in Besitz nehmen, die aus dem Wissen entstanden, das er aus der Analyse des Lebenselixiers gewonnen hatte?
Auch hier zeigte sich Meschkats schlichtes Gemüt. Ahnte er nicht, dass er ihm dieses Wissen unter keinen Umständen weitergäbe? Nein! Diese Geheimnisse würde er mit ins Grab nehmen.
Von der Eingangstür erklang ein leises Klopfen. In der Annahme, es sei ein irritierter Kunde oder Mechthild, die, einer schlimmen Ahnung folgend, ihn von seinem Vorhaben abbringen wollte, ignorierte er es.
Das Klopfen wurde stärker, eine Männerstimme rief seinen Namen. Steinhäuser blickte zum Eingang, doch die giftige Mischung, die er sich in die Augen gerieben hatte, verwehrte ihm klare Sicht. |175| War es Meschkat, der noch einmal zurückkehrte, sich an seinem Leid zu ergötzen?
Steinhäuser wandte sich ab. Er wollte nichts hören, nichts sehen, nichts spüren, außer dem Schmerz, den er
Weitere Kostenlose Bücher