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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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rechts, ließen das Gasthaus hinter sich und folgten einem Weg, der das ehemalige Rittergut umrundete. Hinter der letzten Ecke bog Vogt in einen tannengesäumten Pfad ein, der aufwärts führte und von dichtem Gestrüpp überwuchert war. Helene hatte Mühe, ihm durch die Dunkelheit zu folgen. Sie stolperte, ein Zweig schlug ihr ins Gesicht. Doch nicht ein Mal kam ihr der Gedanke, umzukehren. Etwas hatte sich verändert: Sie begann, ihm zu vertrauen.
    An einem abseits gelegenen Gebäudetrakt blieb er stehen. Aus den Fenstern schien gedämpftes Licht und erhellte sein Gesicht.
    »Wir sind da, Helene. Ich möchte Sie auf das vorbereiten, was Sie nun erwartet. Und vergessen Sie nicht: Das, was ich Ihnen jetzt erzähle, unterliegt dem Eid der Verschwiegenheit, den Sie geschworen haben.« Seine Augen ruhten in ihren, während er auf eine Antwort wartete. Um sie herum war Stille.
    Helene nickte, der Mund war plötzlich wie ausgedörrt. Ihr Herz tat einen unerwarteten Sprung.
    »Was dort drinnen geschieht, passiert im Namen der Wissenschaft«, fuhr Vogt fort. »Alles, was wir dort tun, dient nur einem Zweck: der Verlängerung des menschlichen Lebens. Es ist eine sehr ehrenvolle Aufgabe, daher wollen wir nicht, dass jemand unsere Arbeit verrät, bevor wir mit dem Ergebnis zufrieden sind. Wenn Sie |192| diese Tür durchschritten haben, wird man Ihnen einen Trank geben, der Sie müde macht. Das dient nur zu unserem Schutz.«
    Helene begann, sich unbehaglich zu fühlen. Die soeben noch empfundene Vertrautheit wurde von einer unterschwelligen Angst verdrängt. »Einen Trank?«
    »Ja. Doch keine Angst. Ich bin bei Ihnen.«
    »Aber was passiert mit mir, wenn ich ihn getrunken habe?«
    »Sie werden doch nicht erwarten, dass ich Ihnen das erzähle?« Alles Sanfte, Freundliche war plötzlich aus seinem Gesicht gewichen, nun stand dort nichts als Ungeduld.
    Erst jetzt bemerkte Helene, dass sie fror. »Ich habe Angst. Ich weiß nicht, ob das richtig ist.«
    »Ob das richtig ist?«, äffte er sie nach. »Himmel, Mädchen, ich habe meinen guten Ruf dafür riskiert, dass man Sie aufnimmt. Ich habe Ihnen versprochen zu helfen, jetzt seien Sie nicht undankbar. Immerhin gibt es für jede Sitzung dreißig Groschen.«
    »Oh.« Mehr fiel ihr nicht ein. Dreißig Groschen waren viel Geld. Ein fester Mittagstisch, so hatte Weber mit dem Gastwirt ausgehandelt, kostete sie vierzehn Groschen die Woche.
    »Kommen Sie schon«, setzte er etwas freundlicher nach. Er griff in seine Jackentasche, nahm ihre Hand und zählte die Münzen hinein. Dann verschloss er ihre Hand mit der seinen. »Sie können mir vertrauen. Immerhin war ich Alberts engster Freund.«
    Albert … Helene spürte die Tränen aufsteigen und schluckte. »Hat Albert auch an diesen Experimenten mitgearbeitet?«
    »Ja.«
    Vielleicht, dachte Helene, hatte er sich vor Dingen gefürchtet, die hier, an genau diesem Ort, vor sich gingen. Und vielleicht waren es jene Dinge, deren Teil er niemals hatte werden wollen.
    Sie betrachtete Vogts Silhouette, die ihr im Schein des Lichtes, das durch das Fenster drang, gespenstisch erschien. Ihr Bruder hätte gewiss nicht gewollt, dass sie hier war. Doch war nicht Albert selbst hier gewesen? Helene seufzte. Das Einzige, was ihr in diesem Augenblick wichtig war, war zu sehen, zu spüren, was Albert gesehen und gespürt hatte. Und sei es den Tod selbst.
    |193| »Gut«, sagte sie mit fester Stimme. »Gehen wir hinein.«
    Er grinste zufrieden und klopfte rhythmische Zeichen an die Tür. Die Tür wurde geöffnet, und ein hagerer Bursche in dunklem Gewand, das Gesicht im Schatten einer weiten Kapuze verborgen, steckte den Kopf hinaus. »Ist sie das?«
    »Ja.«
    Helene folgte den beiden Männern durch den dunklen Korridor in einen kleinen fensterlosen Raum, der wie ein Vorraum wirkte und eine weitere Tür an der Längsseite hatte. Es stand eine schmale Pritsche darin, daneben ein kleines Tischchen mit einem gläsernen Kolben, diversen Behältern aus Porzellan, einer Lanzette und einer Schale mit Verbänden. Dazu etwas, das wie ein langes Röhrchen aussah. In der Luft hing ein schwacher Säuregeruch, den Helene aus dem Laboratorium ihres Vaters kannte.
    »Setzen Sie sich dorthin.« Vogt zeigte auf die Pritsche. Der Mann, der ihnen die Tür geöffnet hatte, stellte sich neben ihn und reichte ihr einen Becher, während Vogt sich einen dunklen Umhang überzog.
    Sie legte ihren Mantel ab und tat, wie ihr geheißen.
    Der Trank roch bitter. Helene setzte den Becher an

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