Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
das einen imposanten Garten hatte, und das Schloss, in dem Goethe wohnte, wenn er in der Stadt war. Man konnte bis zur Ostseite der |215| Saale blicken, die weiter nördlich eine längliche Insel umspülte, bis zum laubumrankten Anatomieturm am Fürstengraben und zu den fernen Landstraßen, Gärten und den die Stadt umgebenden Bergen. Sie hielten sich die Ohren zu, als der Türmer seinen viertelstündlichen Ton auf der Trompete ausstieß, und ließen Taubenfedern auf den Platz unter sich wehen, zu den Studenten und Philistern.
An einem anderen Tag wanderten sie bei schönstem Wetter zum Fuchsturm, hoch auf dem Hausberg gelegen, der seinen Namen von der Sitte hatte, dass junge Studenten, auch Füchse genannt, ihren Einstand mit selbst herbeigeschlepptem Bier feierten.
Auch von Albert erzählte Vogt, von dessen außerordentlichem Fleiß während des Studiums, von seinem beeindruckenden Wissen über Arzneimittel und ihre Zubereitung und von der Freundschaft, die sie beide verbunden hatte.
»Er hat oft von Ihnen gesprochen«, sagte er eines Tages, als sie wieder im Gasthaus
Zum schwarzen Bären
saßen. »Er hat sie sehr geliebt. Ebenso wie seine Heimat.«
Helene rührte in ihrem Mokka. »Ich werde nicht mehr lange hierbleiben können«, sagte sie unvermittelt. »Ich finde in Jena keine Arbeit und besitze kein Geld mehr, um mein Zimmer noch länger zu bezahlen.«
»Was wollen Sie tun?«
»Ich habe mich gefragt, ob ich mein Glück besser außerhalb der Stadt suchen soll. Auf den Bauernhöfen, bei der Feldarbeit. Oder vielleicht kann ich meine Kenntnisse über die Zubereitung von Kräutern und Arzneien irgendwo verwenden, wo man sie benötigt.«
Vogt sah sie nachdenklich an, bestellte ihr eine weitere Portion Buttercremekuchen und sah ihr zu, wie sie diesen mit großem Appetit verschlang. Dann sagte er: »Ich habe gehört, dass Professor Nicolai ein neues Hausmädchen sucht. Er zahlt zwei Taler im Monat, Kost und Logis sind frei. Vielleicht kann ich mich dort für Sie einsetzen.«
Helene blickte von ihrem Kuchen auf, überrascht und glücklich zugleich. »Das wirst du für mich tun?«
Es war das erste Mal, dass sie ihn duzte. Es war ihr einfach herausgerutscht, sie entschuldigte sich augenblicklich, doch Vogt |216| strahlte sie an. »Für dich, liebste Helene, würde ich noch weit mehr tun.« Er nahm ihre Hand, mit der sie die Gabel fest umklammert hielt, und führte sie an seine Lippen. Sie waren weich und warm. Erschrocken zog Helene sie zurück.
»Tun Sie das nicht«, flüsterte sie erbost. Vogt war kein Mann für sie. Einer, der in Wirtshäusern Frauen nachstieg, konnte es nicht gut mit ihr meinen. Doch ihr Herz begann zu galoppieren. Sie sah sich um, niemand schien diese Geste bemerkt zu haben. An den Nachbartischen wurde gelacht und diskutiert, eine ältere Frau neigte ihr Ohr zu ihrem Gegenüber, dessen Gesicht sich in Falten legte, während er seine Stimme erhob, um sich ihr verständlich zu machen.
»Das Du hat mir weit besser gefallen«, sagte Vogt verdrossen. »Seit jenem Tag, an dem ich dich gegen Ebeling verteidigte, steht mein Verstand still. Ich weiß, du bist noch jung, aber ich fühle, dass sich unser Schicksal miteinander verbunden hat.«
Er beugte sich zu ihr herüber, und im selben Moment spürte sie das Blut durch ihren Körper strömen, als wäre es ein tosender Bach, der sich anschickte, den Rest ihres Widerstands mit sich zu nehmen.
»Im Frühjahr werde ich promovieren«, sagte Vogt. »Vielleicht bekomme ich dann eine einträgliche Stelle als Arzt. Wir könnten gehen, wohin auch immer es dir gefällt.«
Helene ließ überrascht die Gabel fallen, und als diese laut auf den Teller klirrte, waren ihre Sinne plötzlich hellwach. »Ich bleibe nur, bis ich das Geld zusammenhabe, um nach Hause zu fahren«, sagte sie.
»Nach Hause? Willst du das wirklich?« Sein Mund verzog sich, doch in seinen Augen stand ein eigentümliches Blitzen. Nur kurz, dann neigte er seinen Kopf, sah sie versonnen an und setzte nach: »Ich werde die Zeit bis dahin gut zu nutzen wissen. Und vielleicht, Helene Steinhäuser, werde ich dich überzeugen können.«
An diese Worte dachte sie, als sie zum Haus des Theologieprofessors lief. Nachdem Vogt ihr die Stellung im Hause von Professor Nicolai in Aussicht gestellt hatte, hielt sie es für angebracht, sich endlich bei Professor Weber für seine Hilfe zu bedanken und ihm die Rückzahlung seines Geldes anzukündigen.
|217| Die Luft war kalt und klar, und die Sonne
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