Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
Verbesserung der Lage beitragen können. Gute Heiler und Kurpfuscher waren für den Laien nur schwer zu unterscheiden, selbst unter den Ärzten gab es nicht wenige, deren Praktiken haltloser Unsinn waren.
|210| In diesem Moment beschlich Hufeland eine Ahnung. Oder war es Gewissheit? Er ballte die Hände zu Fäusten. Das Einzige, was helfen würde, das Leben der Patienten zu erhalten und zu verlängern, war, all das auszuschließen, was es bedrohte. Er dachte an Vogt und die Studenten der Verbindung, die es sich zum Ziel gemacht hatten, das Leben mit Hilfe alchemistischer Formeln zu verlängern, und – statt ihr Ziel zu erreichen – mörderische Experimente vollführten. Er schüttelte den Kopf. Die Zeiten für solch dunkle Verbrechen waren vorbei. Sie alle waren Teil eines neuen Zeitalters, das sich aufmachte, die verstaubten Schleier zu lüften, die die Menschheit am Atmen hinderten.
»Jede Wissenschaft hat ihre Pfuscher, auch gut ausgebildete. Nur wirkt es sich auf dem Gebiet der Medizin am fatalsten aus«, sagte er laut und erntete einen erstaunten Seitenblick von seinem Vater.
|211| 16
JENA
13. BIS 23. NOVEMBER 1780
Helene konnte es gar nicht erwarten, diese unselige Stadt bald wieder zu verlassen. Alles, was sie tun musste, war, sich eine Arbeit zu suchen und fleißig zu sparen, bis sie sich die Fahrt mit der Postkutsche leisten könnte.
Sie stand in dem beengten Zimmer des Gasthauses und betrachtete sich im Spiegel. Das Kleid, das Weber ihr geliehen hatte, hatte sie mit viel Mühe vom Schlamm des Waldbodens befreit. Mit einer breiten Schärpe zusammengebunden sah es an ihrem mageren Körper ganz passabel aus. Den Mantel mit dem Geld hatte sie an jenem furchtbaren Abend liegen lassen, sie würde Vogt darum bitten müssen, ihn wiederzubeschaffen.
Missmutig betrachtete sie ihre eingefallenen Wangen, das helle Haar, das sie zu einer ordentlichen Frisur zusammengebunden hatte, die vollen Lippen, die so blutleer aussahen, seitdem sie sich auf die Pritsche gelegt hatte. Mit einer ungeduldigen Geste rieb sie mit den Fingern über die Lippen und kniff sich in die Wangen, bis ein wenig Farbe hineinkam, und verließ das Zimmer.
Ihr erster Weg führte sie zum Marktplatz, wo sie am Tag ihrer Ankunft gleich drei Apotheken entdeckt hatte: das Geschäft des Hofapothekers Wilhelmi, über dessen Eingangstür ein aus Holz geschnitzter und aufwendig bemalter Engel hing, die Ratsapotheke und die Akademische Apotheke. Der große, viereckige Platz schien ihr der schönste Ort dieser engen Stadt. Der Turm der Michaeliskirche ragte hoch hinter den Dächern der Häuser empor, sie sah Buchhändler, die ihre Geschäfte unter den Durchgängen des Rathauses hatten, Druckereien und eine Leihbibliothek.
Helene verharrte noch einen Augenblick an dem mit einem eisernen Wasserbehälter und Ständer versehenen Laufbrunnen und |212| beobachtete, wie die Mägde ihre Eimer füllten und verschlafene Studenten aus den Häusern kamen und zu ihren Vorlesungen hetzten. Wie oft war Albert hier entlanggelaufen, hatte an den Markttagen mit den Händlern um ein gutes Stück Wurst gefeilscht und mit seinen Kommilitonen beieinandergestanden?
Helene atmete tief ein, fasste sich ein Herz und ging zur ersten Apotheke, der Hofapotheke des Herrn Wilhelmi, wo sie ihre Arbeitskraft anbot. Doch der Herr, der hinter der Ladentheke stand, schüttelte nur den Kopf.
»Nein, junge Dame«, sagte er wenig freundlich. »Hier arbeiten ausschließlich Studierte der Pharmazie.«
»Aber ich kenne mich mit der Zubereitung der Arzneien aus, mein Vater ist Apotheker.«
Er schüttelte wieder den Kopf, drehte sich um und beschäftigte sich mit den Schubladen des Regals hinter ihm, zog einzelne hinaus und füllte Kräuter in einen Tiegel.
»Ich kann die Botengänge übernehmen oder die Räume sauber halten. Bitte, ich weiß, wie man Destillierkolben reinigt und Öfen vom Ruß befreit.«
Unwillig blickte er über die Schulter. »Hören Sie auf mich, es gibt keine Arbeit für Frauen. Suchen Sie sich einen netten Mann, Sie sind doch im richtigen Alter.«
»Das kann doch nicht Ihr Ernst sein! Es muss doch etwas geben, was ich in dieser Stadt tun kann?«
»Nun, da gibt es natürlich eine Möglichkeit.« Er drehte sich um und ließ seinen Blick über ihren Körper schweifen. »Aber das wäre für ein anständiges Mädchen natürlich der allerletzte Ausweg.« Er lächelte bedauernd. »Nein, tun Sie sich den Gefallen und suchen Sie sich besser einen Studenten, der Sie zur
Weitere Kostenlose Bücher