Die Alchemie der Naehe
angewinkelten Beine eng an den Körper gezogen und die Stirn auf die Knie gepresst.
Kaum wart ihr wieder zu Hause, bestanden alle darauf, dass du dich ins Bett legtest und ausruhtest.
Irgendwann gabst du nach. Das Bett war einladend warm â genau das, was du jetzt brauchtest. Du warst unglaublich enttäuscht, weil du wegen eines dämlichen Schwächeanfalls vor aller Augen schmachvoll ausgeschieden warst. Wegen Willensschwäche und etwas anderem, das dir noch nicht ganz klar war. Hättest du dich von Anfang an entschieden, auf Selvaggia einzugehen, hättest du dir das Ganze sparen oder aber gewinnen können. Doch du warst einfach auf der Strecke geblieben und wusstest nicht, worüber du dich mehr ärgern solltest: über dich selbst oder ihren Egoismus.
Du konntest verstehen, dass Selvaggia Angst hatte, allein gelassen zu werden. Trotzdem war dir ihr Verhalten unbegreiflich. Hätte sie dir nicht einfach ein Versprechen abnehmen können wie andere verunsicherte Mädchen auch?
Nein, anscheinend nicht. Stattdessen hatte sie dich unbedingt erpressen müssen, um sich selbst zu schützen. Dass sie so wenig Vertrauen in dich hatte, verletzte dich, auÃerdem gefährdete es eure Beziehung. Noch schlimmer wäre es allerdings, wenn sie dir sehr wohl vertraute und grundlos Schmerzen zufügte. Du wusstest nicht, ob du sie für eine extreme Egoistin oder für durch und durch bösartig halten solltest. Wieder einmal konntest du nicht sagen, ob sie das mit Absicht oder unbewusst getan hatte, wobei du nicht wusstest, was schlimmer wäre.
Die Tage vergingen, und eure Beziehung wurde immer distanzierter.
Jetzt warst du derjenige, der ihr ihren Egoismus nicht verzeihen konnte. Selbst wenn du dir einredetest, sie hätte befürchtet, durch das Leistungsschwimmen in Vergessenheit zu geraten, war das keine Entschuldigung.
Wenn hier jemand andere herumschubste , dann sie! Dabei wäre sie bestimmt die Erste, die dich bei der nächstbesten Gelegenheit im Stich lassen würde. Genau das sagtest du ihr eines Tages auch genervt.
»Ich hätte dich niemals im Stich gelassen«, protestierte sie.
»Doch, genau das hättest du getan, und das wissen wir beide. Es wäre schlieÃlich nicht das erste Mal! Aber jetzt bist du bestimmt zufrieden: Ich habe auf meinen Sieg verzichtet, vor aller Augen! Reicht dir das immer noch nicht? Du hast ganz genau gewusst, dass ich mich für dich entscheiden würde, und trotzdem keine Skrupel gehabt, mich zu erpressen!«
»Das war keine Erpressung«, protestierte sie erneut. »Es war nur so, dass â¦Â«
»Es war eine Erpressung, anders kann man das gar nicht nennen. Es wäre anständig von dir gewesen zu akzeptieren, dass ich vielleicht an den Landesmeisterschaften teilnehme. Du hättest wissen müssen, dass es mir nicht im Traum einfallen würde, dich zu vernachlässigen!«
»Du bist grausam«, sagte sie leise, bevor sie niedergeschlagen aus deinem Zimmer humpelte.
Eine Woche später kam Selvaggia mit Büchern aus der Küche und setzte sich in einigem Abstand zu dir aufs Sofa. Sie konzentrierte sich auf ihre Hausaufgaben, und du rauchtest die erste Camel light an diesem Nachmittag, beobachtest sie und warst von ihrer Ausstrahlung wie hypnotisiert, ja konntest weder deinen Blick noch deine Gedanken von ihr abwenden. Sie war alles, was du dir wünschen konntest, und in diesem Moment hättest du nichts lieber getan, als sie zu küssen.
Selvaggia bemerkte deinen Blick, konzentrierte sich aber weiterhin auf ihre Hausaufgaben.
Da dachtest du, das wäre ein guter Moment, um das Kriegsbeil zu begraben. Du rücktest näher, während sie so tat, als bemerkte sie dich nicht, und unbeeindruckt weiterlernte â die Stirn angestrengt in Falten gelegt und rasch einen Absatz markierend. Doch wenn sie so tat, als wärst du ihr gleichgültig, machte sie einen Riesenfehler. Deshalb nahmst du ihr sanft den Stift ab. Unmerklich hob sie das Kinn und sah dich an, betrachtete dich aus den Augenwinkeln. Um die Verlegenheit zu überbrücken, rück test du noch näher und gabst ihr diesen schüchternen, keuschen Kuss auf die Wange. Es war nur eine hauchzarte Berührung, aber sie genügte, um Selvaggia zu einer Reaktion zu bewegen, ja sie fast slapstickartig zusammenzucken zu lassen. Sie hielt sich über rascht die Wange, bis sie sich strahlend zu dir umdrehte, sich
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