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Die Alchemie der Naehe

Die Alchemie der Naehe

Titel: Die Alchemie der Naehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaia Coltorti
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dich ausziehen zu wollen, dachtest du insgeheim, und dir fiel wieder ein, wie deine Mutter es am Nachmittag eures Kennenlernens auf dein Handtuch abgesehen gehabt hatte. Jedenfalls hast du laut aufgeschrien und konntest die Badehose gerade noch rechtzeitig festhalten. Dann sahst du dich um, ob euch jemand beobachtet hatte.
    Â»Sag mal spinnst du?«, sagtest du kopfschüttelnd. Doch diese Verrückte lachte nur und schwamm davon. Du hast sie eingeholt, bevor der See tief wurde, und ihre Beine gepackt. Sie zappelte ein wenig, gab sich dann aber geschlagen. Vielleicht befürchtete sie, nicht mehr stehen zu können, und das machte ihr Angst. Die Entfernung zum Ufer schien sie zu verunsichern, schließlich war sie mit dem Wasser nicht so vertraut wie du.
    Â»Hier ist es schon tief oder?«, fragte sie und sah sich nervös um.
    Â»Keine Sorge! Komm, halt dich an meinen Händen fest, dann bleibst du mühelos über Wasser. Dein Bruder ist Leistungsschwimmer, schon vergessen?«
    Sie packte deine Hände und beruhigte sich sofort. Sie lächelte dich an, und du lächeltest zurück.
    Â»Halt mich fest!«, sagte sie.
    Instinktiv kamst du näher und umarmtest sie. Auf Zehenspitzen konntest du an dieser Stelle bereits stehen. Selvaggia legte den Kopf an deine Schulter und seufzte. Du spürtest ihren Atem, ihr Lächeln, während du sie ans Ufer zogst. Dann hast du dich wieder hingestellt und sie hochgehoben – ihre Beine umschlangen deine Taille und ihre Arme deinen Hals. Du hast sie unter den Knien gepackt, dort wo die Haut zarter wird.
    Als ihr wieder bei euren Handtüchern wart, umarmtet ihr euch wortlos und hieltet euch fest – nicht, weil einem von euch kalt war oder ihr den anderen stärker spüren wolltet, sondern weil ihr bereits begriffen hattet, dass das eine ganz selbstverständliche Geste werden würde. Inzwischen wusstet ihr, dass ihr Körperkontakt haben konntet, sobald ihr das wolltet.
    Und zwar ohne sich bei jemandem entschuldigen, ja ohne um Erlaubnis fragen zu müssen.
    Doch so sehr ihr auch ineinander aufgingt: Es war und blieb eine unverrückbare Tatsache, dass es schon weit nach Mittag war. Das laute Knurren eurer Mägen sprach eine deutliche Sprache.
    Hand in Hand habt ihr eine Weile die steilen Gassen erkundet und euch dabei unterhalten: Beide hattet ihr die Befürchtung, die Beziehung eurer Eltern könnte erneut scheitern. Sie hatten so gut wie nichts gemeinsam, machten aus jeder Mücke einen Elefanten … Bei ihren unterschiedlichen Vorstellungen war ein Riesenkrach unvermeidlich. Was, wenn sie sich eines Tages wieder trennten und euch erneut auseinanderrissen? In diesem Fall, so hast du ihr versichert, würdest du sie mit Freuden aufnehmen, damit sie in Verona bleiben konnte. Verzückt, vertrauensselig (und verhungert!) wie zwei kleine Kinder, die von Waldkobolden verschleppt worden waren, beschlosst ihr, in einer kleinen Trattoria einzukehren, die sich zwischen den Klinker- und Natursteinhäusern versteckte.
    Die Trattoria lag im Erdgeschoss eines zweistöckigen dunkelrosa gestrichenen Gebäudes, und ihre Fenster waren mit roten Geranien geschmückt. Kaum hattet ihr den schattigen Speisesaal betreten, überraschte euch ein junger, freundlicher Kellner damit, dass er euch zu einer Aussichtsterrasse führte, auf der es dank eines grünen Blätterdachs angenehm kühl war und von der man eine fantastische Aussicht hatte.
    Während ihr so an eurem Tisch saßt, hättet ihr nicht sagen können, was euch mehr begeisterte: die idyllische Lage oder der köstliche Essensduft, der aus einer nicht einsehbaren Küche bis zu euch zog.
    Hinter einem zierlichen weißen, mit violetten und fuchsiafarbenen Primeln geschmückten Geländer, das euch von der Weite des Wassers und des Himmels trennte, sahst du den funkelnden See. Seine Oberfläche wurde von winzigen Wellen und Lichtbrechungen gekräuselt, von Booten zerfurcht, deren Segel in der Ferne wie Schuppen aufglänzten. Die grünen, von einer smaragdenen Vegetation überwucherten Hügel bildeten den idealen Rahmen: Es war fantastisch, die überwältigende Schönheit der Schöpfung aus der Perspektive junger, verträumter Gäste zu genießen. Gäste, die durch den Appetit, den Selvaggia hatte, noch viel lebhafter wirkten, welcher offen gesagt von diesem wirklich albernen, peinlichen Wechselgesang begleitet wurde, der

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