Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Alchemie der Naehe

Die Alchemie der Naehe

Titel: Die Alchemie der Naehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaia Coltorti
Vom Netzwerk:
die Frühstücksreste weg. Selvaggia war noch oben, bestimmt überlegte sie, was sie anziehen sollte, als du die Tür und gleich darauf die schrille Stimme deiner Mutter hörtest: »Kinder, seid ihr zu Hause?«
    Â»Ich bin in der Küche, Mama«, riefst du, und das Herz schlug dir bis zum Hals. Schließlich wusstest du ganz genau, dass sie nur zehn Minuten früher hätte zurückkommen müssen, um euch déshabillé im Bett vorzufinden. Und wie sie darauf reagiert hätte, wolltest du dir lieber nicht vorstellen.
    Du sprachst mit deiner Mutter über alles Mögliche, obwohl es schon viel verlangt war, sich nicht zu verplappern, als sie sich nach euren Vormittagsunternehmungen erkundigte.
    Zehn Minuten später kam Selvaggia in die Küche und staunte nicht schlecht, dass eure Mutter zu Hause war. Es grenzte fast an ein Wunder, dass sie angezogen war und dich beim Runter kommen weder »Schatz« noch »mein kleines Monster« nannte. Eure Mutter unterzog euch einem regelrechten Verhör: Sie wollte wissen, wo ihr gewesen wart, was ihr gemacht, mit wem ihr euch getroffen hattet. Sie war die geborene Detektivin, ein erstklassiger Spitzel, aber ihr hättet es lieber gesehen, sie hätte ihr Zuhause nicht mit dem Arbeitsplatz verwechselt.
    Du gabst ihr auf alle Fragen eine Antwort, und Selvaggia bestätigte deine Versionen. Wenn deine Mutter sich an sie wandte, beschränkte sich deine Schwester darauf, Details zu ergänzen, die sie sich spontan ausdachte.
    Trotzdem schien eure Mutter mit eurer Zusammenfassung zufrieden zu sein. Und da sie euch »nicht schuldig« gesprochen hatte, erzählte sie, was sie so bei der Polizei erlebt hatte. Ausführlich beschrieb sie einen neuen Kollegen nach dem anderen, die bestimmt alle schrecklich waren. Nicht dass ihr ihr wirklich zuhörtet: Es genügte, jedes Mal zu nicken, wenn sie versuchte, euch einzubeziehen.
    Während eure Mutter redete, dachtet ihr in Wahrheit daran, dass ihr euch dank eines winzigen Vorsprungs gerade noch hattet retten können und ein solches Risiko kein zweites Mal eingehen durftet.

27
    Noch am selben Abend bliebst du nach dem Abendessen im Wohnzimmer und sahst dir ein Fußballspiel im Fernsehen an. Selvaggia war bereits auf ihr Zimmer gegangen, was sie da trieb, wusstest du nicht. Du hast gewartet, bis sich eure Eltern ins Schlafzimmer zurückzogen, und kaum hast du gehört, wie es im Haus still wurde, bist auch du nach oben gegangen. Du machtest dich für die Nacht fertig, schlüpftest leise und übervorsichtig ins Zimmer deiner Schwester und zogst sofort die Tür hinter dir zu. Sie lag auf dem Bett und las doch tatsächlich ein Buch. Sie hörte das kaum wahrnehmbare Quietschen der Klinke, drehte sich zu dir um und lud dich lächelnd ein, näher zu kommen. Du gingst zu ihr, zogst sie in eine Umarmung.
    Was sie da lese, fragtest du. Es war eine Charlie-Chaplin- Biografie, die mit einer einsamen, entbehrungsreichen von Wahnsinn und Hunger geprägten Kindheit begann und aus der Feder von Charles Dickens geflossen zu sein schien. Nur um dann den plötzlichen Ruhm mit nur sechsundzwanzig Jahren zu schildern, eine Reihe denkwürdiger Werke und Liebesaffären mit faszinierenden Frauen, angefangen von Pola Negri über Paulette Goddard bis hin zu Oona O’Neill – eine Figur, die im Lauf des Buches als eitel und bescheiden, großzügig und engstirnig, zynisch und liebevoll, schüchtern und exhibitionistisch beschrieben wurde.
    Â»Das Leben dieses Schauspielers«, verkündete Selvaggia, die den Klappentext vorlas, »das selbst zum Mythos wurde, ist vielleicht sogar sein fesselndster, dramatischster Film.«
    Â»Ich wusste gar nicht, dass du so ein Filmfan bist«, sagtest du leise. »Und erst recht kein Stummfilmfan.«
    Du lagst auf der Seite, als sie erneut das Wort ergriff . » Johnny ? «, flüsterte ihre zärtliche Stimme.
    Du reagiertest mit einer Art Stöhnen und sagtest mit träger Stimme: »Was ist, mein Schatz? Was ist los?«
    So sehr sie sich auch bemühte, leise zu sprechen, so mitreißend und lebhaft war ihre Stimme: »Vielleicht habe ich eine Möglichkeit gefunden, wie wir ungestört zusammen sein können.«
    Daraufhin schlugst du die Augen auf, hobst den Kopf und sahst sie an: »Und zwar?«, fragtest du und sahst in Selvaggias Gesicht sofort diesen zufriedenen, durchtriebenen Ausdruck sowie die

Weitere Kostenlose Bücher