Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin
bewacht, wie ich geglaubt habe.«
Ein Grund mehr, den Fettfischern zu mißtrauen, dachte Aura, hielt sich aber mit Bemerkungen zurück. Sie hoffte, daß Gillian wußte, was er tat.
Als die Gefährten in Begleitung Ruperts weitergingen und die zwölf Männer schweigend und mit maskenhaften Gesichtern zurückblieben, flüsterte Gillian Aura zu: »Es gibt ein Abkommen zwischen den Fettfischern und Lysander. Sie setzen keinen Fuß in sein Gebiet, dafür läßt er sie in Frieden. Ich kann verstehen, daß Rupert bemüht ist, nicht gegen diese Regel zu verstoßen, solange es nicht unbedingt nötig ist.«
»Immerhin weist er uns den Weg zu Lysander – ist das nicht Verstoß genug?«
Gillian antwortete nicht, gab Aura aber mit einem Wink zu verstehen, einige Schritte hinter ihrem Führer zurückzubleiben. »Rupert ist nicht so dumm, wie er aussieht. Er weiß ganz genau, was er tut.«
»Dann wird er uns auf alle Fälle verraten«, erwiderte Aura ironisch.
Zu ihrem Erstaunen nickte Gillian. »Gut möglich.«
Sie starrte ihn an. »Das ist nicht dein Ernst!«
Gillian lächelte geheimnisvoll. »Rupert wird heute einen zweifachen Verrat begehen. Warte ab …«
Aura blieb mit einem Ruck stehen. »Ich denke gar nicht daran!«
Er packte sie am Arm und zog sie weiter. »Vertraue mir – bitte! Ich weiß, was ich tue.«
»Das will ich hoffen.«
Christopher war mit Daniel einige Schritte hinter ihnen gegangen, wohl in der Hoffnung, schneller die Flucht ergreifen zu können, falls sie von vorne angegriffen wurden. Nun aber kam er eilig heran. »Ist irgendwas passiert?« fragte er argwöhnisch.
Der Hermaphrodit schenkte ihm einen belustigten Blick. »Wir werden vielleicht alle sterben.«
»Sehr witzig, wirklich.«
Gillian schloß wieder zu dem Fettfischer auf. »Wir gehen nicht zufällig ein paar Umwege, um sicherzustellen, daß ich mir die Strecke nicht merken kann, oder?«
Rupert stieß ein knarrendes Kichern aus. »Du mußt mich für einen schlechten Geschäftspartner halten.«
»Nur für einen, der auf Nummer Sicher geht.«
»Da kannst du recht haben.«
Weitere Minuten vergingen, ohne daß einer ein Wort sprach. Dann erreichten sie eine Bretterwand aus massiven Eichenbohlen. Sie wirkte kaum weniger stabil als das Mauerwerk, das sie von allen Seiten umgab.
»Dahinter befindet sich ein Gang, der direkt in Lysanders Gemächer führt«, sagte Rupert.
Ein lauerndes Grinsen erschien auf Gillians Gesicht. »Du willst uns doch nicht hier schon verlassen?«
»Ich habe euch hergeführt, wie es abgemacht war«, fauchte Rupert. »Also gib mir den Preis.«
»Die Abmachung lautet, daß du uns bis zu Lysander führst.« Gillian blieb höflich. »Noch kann ich ihn nirgends entdecken.«
»Heißt das, du willst nicht zahlen?«
»Sobald wir Lysander gegenüberstehen.«
Rupert knurrte etwas, aber er ließ sich nicht auf einen Streit ein. Statt dessen wandte er sich der Eichenwand zu, zählte von links fünf Bohlen ab und drückte mit flacher Hand gegen die sechste. Sie gab mit einem Knirschen nach, und sogleich schoben sich alle Bohlen rechts von ihr wie eine Schiebetür zur Seite. Ein schmaler Spalt entstand, gerade breit genug, um hintereinander durchzuschlüpfen. »Du zuerst«, sagte Gillian zu Rupert.
Der Fettfischer stieß einen Fluch aus, rückte das Teesieb über seinem blinden Auge zurecht, und kletterte dann durch die Öffnung. Gillian und Aura folgten, zuletzt stiegen Daniel und Christopher hindurch.
»In diese Richtung«, sagte Rupert und deutete nach rechts. Am Ende eines Korridors brannte eine einsame Öllampe über einer niedrigen Holztür. »Gleich dahinter befindet sich der Hauptsaal von Lysanders Gemächern. Die Tür wird innen durch eine Täfelung verdeckt, aber Lysander weiß natürlich von ihr.«
»Natürlich«, pflichtete Gillian bei und lächelte wieder. Aura gefiel seine Geheimnistuerei immer weniger. Sie hoffte, daß ihm bewußt war, daß er mit ihrer aller Leben spielte.
»Kann ich jetzt gehen?« fragte Rupert.
»Du kennst die Antwort«, gab Gillian zurück.
Der Fettfischer schenkte ihm aus seinem einen Auge einen haßerfüllten Blick und ging abermals voran. Im Schein der Öllampe machten sie halt. Die Tür hatte einen runden Metallknauf, der mit Grünspan überzogen war. Auras Herz zog sich zusammen. Ein Blick in die Gesichter ihrer Stiefbrüder zeigte ihr, daß es den beiden nicht besser erging. Sogar Christophers Selbstsicherheit war restlos geschwunden.
Sie alle waren unbewaffnet, nicht
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