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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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ihnen wurde das Geschrei noch einmal lauter, als die letzten Fettfischer aus der Halle trampelten, gefolgt von den Burgwächtern. Und doch schien sich Gillians Hoffnung zu bewahrheiten; niemand nahm denselben Weg wie sie, alle flohen durch die Eichenwand ins Labyrinth der Kanäle und Entwässerungsschächte.
    Zwei, drei Minuten lang schleppten sie sich noch weiter, bis Gillian plötzlich stehenblieb und sagte: »Warte.«
    Aura dachte gar nicht daran, obwohl sie kaum noch Kraft hatte, sich auf den Beinen zu halten, so sehr belastete sie Daniels Gewicht. Keuchend zog sie ihn weiter. »Nein«, stieß sie hervor. »Wir müssen weiter, wir müssen –«
    »Aura!« sagte Gillian noch einmal und hielt sie zurück. »Aura, bitte. Es hat keinen Zweck mehr.«
    Sie starrte ihn zornig an. »Daniel wird sterben, wenn wir nicht –«
    Gillians Stimme war sehr sanft, als er sie abermals unterbrach.
    »Daniel ist tot, Aura.«
    Die Last auf ihrer Schulter schien sich auf einen Schlag zu verdoppeln. Ganz langsam wandte sie den Kopf so weit zur Seite, daß sie Daniel ins Gesicht sehen konnte. Er sah aus, als schliefe er. Sie hatte ihn früher oft so schlafen sehen, ganz nahe neben sich, Gesicht an Gesicht.
    Gillian hob den Reglosen von ihrer Schulter und ließ ihn sanft zu Boden gleiten. Er bettete Daniels Hinterkopf in seiner Rechten, ergriff mit der Linken sein Handgelenk. Nach einer Weile schüttelte er stumm den Kopf.
    Aura stand wie versteinert da und blickte auf die beiden hinab. Daniel – tot? Sie starrte in sein Gesicht und wartete, daß endlich die Tränen kamen. Sie kamen nicht. Noch nicht.
    Plötzlich war Gillian neben ihr und legte einen Arm um ihre Hüfte. »Wir müssen weiter. Bitte.«
    »Du … du willst ihn einfach hier liegenlassen?«
    »Er würde uns aufhalten. Und für ihn spielt es keine Rolle mehr.«
    Wutentbrannt riß sie sich von ihm los und funkelte ihn an. »Uns aufhalten? Das hat er die ganze Zeit getan, nicht wahr? Das hast du doch gemeint, oder?«
    »Bitte, Aura«, sagte Gillian noch einmal. »Wir können ihm nicht mehr helfen.«
    Sie achtete nicht auf seine Worte und fiel neben Daniels Leichnam auf die Knie. Sie ergriff seine Hand. Die Finger waren immer noch warm, so als wäre er gar nicht – Ein Gedanke durchzuckte sie. Was, wenn Gillian nur behauptete, Daniel sei nicht mehr am Leben, um ihn zurückzulassen? Wenn er etwas so Schreckliches nur sagte, um seine eigene Haut zu retten?
    Der Hermaphrodit legte ihr zärtlich eine Hand auf die Schulter.
    »Komm jetzt, bitte. Sie werden gleich hier sein.«
    Ihr Kopf ruckte herum, ihr Blick durchbohrte ihn wie Messerklingen. »Er ist nicht tot.«
    »Aber –«
    »Du lügst. Du willst nur dein Leben retten.«
    »Aura, es ist wirklich traurig, daß er –«
    »Traurig?« schrie sie ihn an. »Du hast ihn doch nicht einmal gekannt. Sag mir nicht, daß du um ihn trauerst!«
    »Sie werden uns schnappen, wenn wir nicht weitergehen.«
    »Dann geh doch!« Sie war hysterisch, na und? Sie hatte, verdammt noch mal, allen Grund dazu!
    Einen Augenblick lang sah es aus, als wolle er sie von Daniel fortreißen, aber er wußte wohl, daß er sie dadurch endgültig verlieren würde.
    »Zum letzten Mal«, sagte er, aber es lag keine Drohung in seiner Stimme, »komm jetzt mit. Daniel ist tot, und es hilft weder ihm noch dir selbst, wenn du dich seinen Feinden auslieferst.«
    Sie hob Daniels Oberkörper und wiegte ihn einige Sekunden lang in ihrem Schoß. Dann legte sie ihn sanft zu Boden und stand auf.
    »Vielleicht hast du recht«, flüsterte sie leise, fast zu sich selbst. »Er –«
    »Ist tot«, sagte plötzlich eine grobe Stimme aus dem Dunkel. »So wie ihr selbst.«
    »Rupert!« entfuhr es Gillian verbittert.
    Aura wirbelte herum und sah den Anführer der Fettfischer in den Lichtkreis einer einsamen Öllampe treten. Er war allein, aber das machte kaum einen Unterschied; er hielt einen Revolver in der Hand. Der Lauf war auf Gillians Brust gerichtet.
    »Mein Preis!« verlangte er. »Gebt mir das Auge.«
    Gillian seufzte, darin wandte er sich an Aura. »Gib es ihm. Er ist der Ansicht, er hätte es sich verdient.«
    Aura griff in die Tasche ihres Kleides, in die sie das Glasauge während der Flucht aus der Halle gesteckt hatte. Doch ihre Fingerspitzen berührten nichts als winzige Splitter. Daniels Gewicht an ihrer Seite hatte den Augapfel zerbrochen.
    Sie sah auf und starrte in die Mündung von Ruperts Revolver.
    »Nun?« fragte der Fettfischer lauernd. »Wo ist es?«
    Aura warf

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