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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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hob beide Hände, um zu zeigen, daß er nichts Böses im Schilde führte. Dabei lächelte er freundlich.
    »Dafür sind Väter doch da, nicht wahr?«
    Nur wenige hundert Meter nördlich der Wojwodina zogen die Kalkgebirge der Krim vorüber. Die Halbinsel erstreckte sich zweihundert Kilometer weit von den Ufern der Ukraine ins Schwarze Meer. Der Kapitän hatte Aura erklärt, wenn die Umrisse der Krim hinter ihnen zurückblieben, hätten sie ungefähr die Hälfte der Überfahrt hinter sich gebracht. Noch aber waren die schroffen Kalkfelsen deutlich zu sehen. Aura betrachtete sie mit einem Fernglas, das sie von zu Hause mitgebracht hatte. An der Küste wuchsen wilde Kapernstauden. Weinreben rankten sich um die Bäume und Hecken. Der schmale grüne Uferstreifen wirkte wie ein verwilderter Garten, und der Kontrast zu den schroffen Felsruinen darüber hätte nicht stärker sein können. Hin und wieder kamen Hütten in Sicht, halb in die Berge gehauen und mit Lehmziegeln gedeckt, inmitten von Ziegenherden und kleinen Schafen.
    Von Osten her trieb der Wind weiße Schaumkronen über die See. Mit jedem Tag, den sich das Schiff dem Ziel der Reise näherte, wurde es kühler. Aura fragte sich beunruhigt, ob die Winterkleidung in ihrem Gepäck warm genug sein würde. Zur Not würden sie sich im Hafen von Suchumi neu einkleiden müssen.
    Jemand schob das Fernglas vor ihren Augen fort. Als sie aufschaute, kreuzte sie Christophers düsteren Blick. »Warum nur machst du dir ständig Sorgen?« seufzte sie.
    Er stützte beide Ellbogen auf die Reling und blickte nach Norden zu den Ufern der Krim. Seit er wieder in Freiheit war, hatte er sich den Kopf nicht mehr rasiert. Fingerbreiter Flaum bedeckte seinen Schädel, noch nicht lang genug, um vom Wind zerzaust zu werden. Auras schwarze Strähnen hingegen flatterten um ihr Gesicht. Ihr Hut war schon am ersten Tag über Bord geweht worden.
    »Mir ist etwas Seltsames aufgefallen«, sagte er, ohne sie dabei anzusehen. »Die beiden alten Leute in der Kabine neben unserer – die hast du doch bemerkt, oder?«
    »Sicher.« Sie ahnte schon, worauf er hinauswollte. »Mir wird schlecht, wenn ich sie sehe.«
    Sie versuchte mühsam, ein Lachen über ihre Lippen zu bringen.
    »Ein feines altes Ehepaar. Italiener, glaube ich. Was ist so schlimm an ihnen?«
    »Das ist es ja. Nichts ist schlimm. Sie sind sauber, gepflegt, ordentlich. Nette, reiche alte Leute. Und dennoch dreht sich mir der Magen um, wenn ich in ihre Nähe komme.«
    »Du bist seekrank.«
    »Nein, und ich glaube, das weißt du.« Er drehte sich zu ihr um.
    »Es ist mir schon früher aufgefallen. Erst am Bett des alten Mannes in Wien. Dann ein paar Mal im Zug auf der Rückreise zum Schloß. Sobald jemand in meine Nähe kommt, der älter ist als – sagen wir – siebzig, habe ich das Gefühl, ich müsse mich übergeben.« Er machte eine kurze Pause und kniff die Augen zusammen, als eine besonders scharfe Brise über die Reling fegte. »Ich habe dich beobachtet, Aura. Und ich glaube, es geht dir genauso.«
    Es hatte keinen Sinn, ihn zu belügen. »Du hast recht«, gestand sie resigniert. »Es ist, als ob man« – sie suchte einen Moment lang nach Worten – »als ob jemand einem in den Magen schlägt, nur ohne Schmerzen.«
    Er ergriff Auras Hand und zog sie zu sich herum. »Ich möchte, daß du mir die Wahrheit sagst. Was für ein Zeug war das, das wir beide da geraucht haben?«
    »Das weißt du doch längst, oder?«
    Er ließ ihre Hand wieder los und schaute nachdenklich zum Festland. »Also doch.«
    »Als ich es ausprobierte, war ich genau wie du fast zwei Tage lang ohne Bewußtsein. Hätte ich nicht Anweisung gegeben, mich niemals im Laboratorium zu stören, wäre ich wahrscheinlich in der Gruft aufgewacht. Ich habe es später noch einmal an ein paar Ratten getestet. Es hat alle ihre Lebensfunktionen gestoppt. Als hätte man die Tiere auf Eis gelegt.«
    »Aber das ist nur eine Nebenwirkung«, meinte er leise, als fürchte er, der Wind könne ihre Worte übers Meer bis zu Lysander tragen.
    »Wenn ich das wüßte …«
    »In den Erinnerungen der Kinder trugen Morgantus und alle anderen Templer Rüstungen. Hätte dieser Ausritt vor fünfzig oder sechzig Jahren stattgefunden, wären Rüstungen ein wenig aus der Mode gewesen, meinst du nicht auch?«
    »Ich denke seit Tagen an nichts anderes«, gab sie zu.
    »Die letzten Rüstungen wurden zur Zeit der Renaissance benutzt, ein paar vielleicht noch im Dreißigjährigen Krieg. Aber selbst der ist

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